Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Peter Füssl · 04. Apr 2016 · CD-Tipp

Ralph Alessi: Quiver

Mit dem vor drei Jahren präsentierten ECM-Debut „Baida“ ist Ralph Alessi der Sprung vom allseits gefragten „Musican’s musican“ zum souveränen Bandleader bravourös gelungen, mit „Quiver“ wird der wendige Alleskönner auf der Trompete diesen Ruf noch festigen. Die zehn im legendären Osloer Rainbow Studio aufgenommenen und in New York abgemischten Eigenkompositionen sind zwar von einer grundlegenden Melancholie geprägt und über weite Strecken in gemäßigtem Tempo gehalten, bewirken aber dank ihrer kompositorischen Raffinesse eine latente Spannung, die durchaus fesselnd ist.

Alessi verfügt über einen wunderbar lyrischen Ton, kann aber mit vitalen, aus dem Vokabular des Post-Bop und Free-Jazz genährten Ausbrüchen durchaus auch Dramatik erzeugen. Gary Versace hat Jason Moran am Piano ersetzt und versteht es hervorragend, die von Alessi bewusst ausgesparten kompositorischen Freiräume auf vielfältige Weise zu nutzen, um das musikalische Geschehen voranzutreiben und den Bandleader mit zusätzlichen Inspirationen zu versorgen. Drew Gress am Kontrabass und Nasheet Waits an den Drums zählen zu den subtilsten und improvisatorisch kompetentesten Rhythmusgespannen unserer Zeit. Manche Kritiker meinen, letzterer könne sein verblüffendes Können erst in der letzten, sehr kurzen und einzigen Up-Tempo-Nummer des Albums „Do Over“ voll zur Wirkung bringen, tatsächlich spielt der mit bewundernswerter Intuition gesegnete Waits aber gleichermaßen unaufdringlich wie wirkungsvoll 56 Minuten und 26 Sekunden Dauersolo. Dieses vielschichtige Album lässt sich – je nach Lust und Laune und persönlicher Verfassung des Rezipienten – als stilvolle Meditation oder als ungemein detailreiches Kunstwerk genießen.

(ECM/www.lotusrecords.at)