Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Füssl · 14. Jun 2022 · CD-Tipp

Oded Tzur: Isabela

Der in Tel Aviv aufgewachsene und in New York lebende Tenorsaxophonist Oded Tzur verbindet in seinem gut 35-minütigen, fünfteiligen, Suite-artigen Kompositionsreigen auf eigenwillige und höchst einfallsreiche Weise seine Vorlieben für traditionelle nordindische Musik, Jazz und Blues: „Eine Möglichkeit, einen Raga zu definieren, besteht darin, ihn als eine abstrakte Persönlichkeit zu betrachten, die aus Klang erschaffen ist. Manche Musiker würden ihn sogar als eine Präsenz bezeichnen, die man zum Leben erwecken muss. Das ist der Punkt, an dem es keine Tonleiter mehr ist, sondern etwas, das so viel mehr ist als eine Abfolge von Noten. In diesem Sinne ist der Blues genau wie ein Raga. Er hat eine Tonleiter, aber er ist nicht einfach eine Tonleiter. Er ist eine abstrakte Persönlichkeit, die so charakteristisch ist, dass man nur eine Phrase davon hören muss, und schon sagen kann: ‚Das ist Blues‘ – wie eine Person, die man von Weitem kennt.“

Was von der Theorie her vielleicht ein bisschen abstrakt klingen mag, entpuppt sich in der ganz und gar nicht akademisch anmutenden musikalischen Umsetzung als faszinierendes, vielschichtiges, auf subtile Weise das ganze dynamische Spektrum zwischen ruhiger Meditation und energievoller Explosion auslotendes, eine Vielzahl an Farben und Emotionen evozierendes Meisterwerk. Jedes der fünf Stücke beleuchtet den zugrundeliegenden Raga aus unterschiedlichen Perspektiven. Oded Tzur verfügt auf virtuose, aber niemals plakative Weise über ein ausdrucksstarkes, auch von mikrotonalen indischen Instrumentaltechniken inspiriertes musikalisches Vokabular, das ihn sowohl solistisch als auch in der Kommunikation mit seinen Partnern brillieren lässt. Zum exzellenten Quartett gehören wie auch schon beim erfolgreichen ECM-Debüt „Here Be Dragons“ aus dem Jahr 2020 der israelische Pianist Nitai Hershkovits, der griechische Kontrabassist Petros Klampanis und US-Drummer Johnathan Blake. In den mittlerweile fünf Jahren des Zusammenspiels haben sich die Fähigkeiten und der Spaß, sich wechselseitig musikalisch herauszufordern, auf ein bemerkenswertes Level hochgeschraubt. So entspinnen sich unter allen Beteiligten Konversationen, die ein breites stilistisches Spektrum an Ausdrucksformen bis hin zur freien Improvisation abrufen. Und natürlich bleibt auch Raum für solistische Glanzlichter, die gelegentlich mit explosiver Brisanz überraschen. Ein wundervolles Wechselbad der Gefühle – so kunstvoll strukturiert, dass es völlig organisch erscheint.

(ECM/Universal)