Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Füssl · 05. Apr 2021 · CD-Tipp

Julien Baker: Little Oblivions

Selbstzweifel, Schmerz, Seelenpein, Identitätskonflikte, Schuldgefühle, religiöse Obsessionen, Verzweiflung, Zerrissenheit, Selbstbetrug, Kontrollverlust, Leid und Leidenschaft – die Welt der Singer-Songwriterin Julien Baker aus Memphis/Tennessee war immer schon ein Jammertal, aber eines, das der expressiven Sängerin in der Welt des Alternative-Folk und des Indie-Pop zu einem glänzenden Renommee verhalf.

Das gilt für ihr 2015 im Alter von 20 Jahren veröffentlichtes, sich spartanisch auf Gitarre und Stimme beschränkendes Debüt-Album „Sprained Ankle“ ebenso, wie für das zwei Jahre später folgende „Turn Out The Lights“, auf dem sie das Instrumentarium um Piano, Streicher und sparsame Klarinetten- und Saxophon-Töne erweiterte. 2019 erlitt dann der hochgelobte Indie-Darling für die Außenwelt ziemlich abrupt einen Totalabsturz ins Nichts der Alkohol- und Drogensucht, die längst überwunden schien. „All my greatest fears turn out to be the gift of prophecy” oder „I can see where this is going but I can’t find the brakes” lauten deprimierende Textzeilen dazu. In den 12 Songs auf Bakers nunmehr drittem Album „Little Oblivions“ schildert die exzellente Lyrikerin mit ihrem sicheren Gespür für griffige Metaphern und mit schonungsloser Offenheit die Teufel, die sie ritten und zum Teil wohl noch immer reiten. Ihre Songs erscheinen als Vehikel für ihre mutige Autotherapie in Sachen Seelenschmerz und Gefühlschaos, schildern ihre Verletzlichkeit so unmittelbar und eindringlich, dass man sich über jeden Hoffnungsschimmer, jeden kathartischen Moment mit ihr freut. Musikalisch hat Julien Baker das Spektrum der Vorgängeralben enorm in Richtung Alternative-Rock, Dream-Pop und Elektronik erweitert. Zu Gitarre und Piano gesellen sich in nunmehr weit komplexeren Arrangements erstmals auch Bass, Banjo, Mandoline, Orgel, Synthesizer und auch Drumcomputer und Schlagzeug – so gut wie alle Instrumente wurden von der 25-jährigen selbst eingespielt und teilweise bewusst auf einem imperfekten Level belassen, weil die brüchigen, ungestümen, teils verstörenden Soundlandschaften so noch besser die Songinhalte reflektieren. Auf einem Song wird sie von den kongenialen Kumpaninnen ihres Trio-Projekts Boygenius – Phoebe Bridgers und Lucy Dacus – gesanglich unterstützt, aber das ist nur eine kleine Zugabe zu diesem aufsehenerregenden Album, das im US-„Billboard“ in den Kategorien Folk Albums, Independent Albums, Top Alternative Albums und Top Rock Albums in den Spitzenpositionen zu finden ist. Also wieder alles gut im Hause Baker? Mal sehen ...

(Matador)