Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Peter Füssl · 31. Aug 2020 · CD-Tipp

Dhalgren: Songs From A Dystopian Utopia

Der 1961 in New York geborene, in Denver aufgewachsene Chris Dahlgren eroberte als Bassist im Umfeld Anthony Braxtons die Avantgarde-Jazz-Szene des Big Apple, studierte Komposition bei La Monte Young und landete schließlich Anfang der Nuller-Jahre in Berlin, einem der ganz besonders heiß brodelnden Musik-Hexenkessel Europas, wo er an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ unterrichtet. Dort entwickelte er sich immer mehr zum Multiinstrumentalisten, was ihn vermehrt zu Gitarre, Viola da Gamba und zur türkischen Langhalslaute Baglama greifen ließ. Seit einigen Jahren intensiviert Dahlgren auch höchst erfolgreich sein Faible für Singer-Songwriting, wundervoll dokumentiert auf zwei in der Tonschmiede Bezau aufgenommenen Alben, wo Alfred Vogel und Little Konzett an den Tonhebeln saßen.

Gemeinsam mit dem generationenübergreifenden Quintett Dhalgren (das H aus Dahlgren ist aus welchen Gründen auch immer beim Bandnamen nach vorne gerutscht) – bestehend aus dem Gitarristen Arne Braun, der Vibraphonistin/Perkussionistin Evi Filipp0u, Kontrabassist Sidney Werner und Alfred Vogel an den Drums – legt er wunderschön ausgetüftelte, farbenreiche und mit allerlei Überraschungen und wagemutigen Dissonanzen garnierte Arrangements unter seine eigenwilligen, immer irgendwie geheimnisvoll wirkenden Texte. Mit diesen leuchtet Chris Dahlgren in die dunklen Winkel Berlins ebenso hinein wie in die unerforschten Tiefen der menschlichen Seele – als Einflüsse nennt er neben Aldous Huxley das russische Sciene-Fiction-Brüderpaar Arkadi und Boris Strugazki, als einzigen Fremdtext verwendet er Shakespeares „Fairies‘ Song“ aus „A Midsummer Night’s Dream“. Rasch wird man von Chris Dahlgrens hypnotisch wirkendem, eigentümlich relaxten Sprechgesang, der auf ideale Weise mit dem komplexen und doch eingängig wirkenden Musikteppich korrespondiert, in den Bann gezogen. Altsaxophonist Hayden Chisholm verfeinert einen Song, die junge Vokalartistin Almut Kühne überrascht auf zwei Titeln mit experimentierfreudiger Gesangsakrobatik. Bei der begeistert aufgenommenen Album-Präsentation im Rahmen der Bezau Beatz 2020 fiel auf, dass es sich hier nicht nur um ein Studio-, sondern um ein echtes Live-Projekt handelt und mit wie viel Engagement und Spiellust Dhalgren Chris Dahlgrens beeindruckendes Singer-Songwriter-Ouevre auch auf der Bühne umzusetzen vermögen.

(Boomslang Records/www.traps.at)