Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Füssl · 19. Mär 2013 · CD-Tipp

Chris Potter: The Sirens

Treibende Post-Bop-Nummern wechseln mit zartschmelzenden lyrischen Balladen, großes Drama mit zarten Stimmungsbildern – das ECM-Debut als Leader des 42-jährigen Saxophonisten Chris Potter ist so abwechslungsreich und spannend wie Homers Meisterwerk "Die Odyssee".

Nachdem er den antiken Klassiker wiedergelesen hatte, schrieb Potter wie in einem Rausch innerhalb von zwei Wochen die neun Kompositionen mit Titeln wie „Penelope“, „Kalypso“, „Nausikaa“, „Wayfinder“ oder „The Shades“, die als Songs ohne Texte zu verstehen sind. Durch die geschickte Verschränkung zwischen komponierten und frei improvisierten Passagen bleibt den erstklassigen Musikern viel Raum, um kreative Ideen solistisch einzubringen, umwerfend ist aber, mit welcher Sensibilität sie miteinander kommunizieren. Der in unseren Breiten vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Charles Lloyd bekannt gewordene Eric Harland erweist sich einmal mehr als einer der versiertesten Schlagzeuger der Gegenwart und hat in Kontrabassist Larry Grenadier einen idealen Partner gefunden. Beide sind aber nicht nur perfekte Timekeeper, sondern tragen mit ihrer nuancierten Spielweise auch eine reiche Palette an Schattierungen zu den Stimmungsbildern bei. Mit Craig Taborn hat sich Potter einen gleichermaßen virtuosen wie unkonventionellen Lyriker ans Piano geholt, der sich vielleicht auch durch den zweiten Tastenmann, den jungen Kubaner David Virelles an präpariertem Klavier, Harmonium und Celesta zu wunderschönene Läufen und unkonventionellen Einwürfen inspirieren lässt. Chris Potter selber geht an Tenor- und Sopransaxophon sowie auf der Bassklarinette wie gewohnt expressiv und voller Energie zu Werk, ohne jemals seine hohen ästhetischen Ansprüche zu vernachlässigen. Auf diese Sirenengesänge lässt man sich gerne ein, zumal sie zwar außergewöhnlich anziehend, aber kaum einmal gefährlich wirken. Nur Idioten würden sich hier die Ohren mit Wachs verschließen.   
(ECM/Vertrieb:www.lotusrecords.at)