Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Peter Füssl · 23. Jän 2015 · CD-Tipp

Anouar Brahem: Souvenance

„Außergewöhnliche Ereignisse erschütterten plötzlich das alltägliche Leben von Millionen von Menschen. Wir wurden ins Ungewisse geschleudert und erlebten dies mit einer Gefühlsmischung aus großer Angst, Freude und Hoffnung. Was passierte, überstieg schlicht unser Vorstellungsvermögen.“ Die politischen Umwälzungen, die Ende 2010 in Anouar Brahems tunesischer Heimat ihren Ausgang nahmen und sich dann als „Arabischer Frühling“ auch in die angrenzenden Länder ausbreiteten, haben den Oud-Virtuosen „zutiefst beeinflusst“ – das nicht unbedingt ECM-typische Cover-Bild einer Straßenkampfszene unterstreicht diese Aussage auch optisch.

Die elf auf der Doppel-CD verewigten Stücke haben zwar keine direkten politischen Aussagen, sind aber „Erinnerungen“ an die dramatischen Ereignisse und wurden, ehe es ins Studio nach Lugano ging, zuerst im Römischen Amphietheater von Karthago vor mehr als 7.000 Zuschauern live vorgestellt. Auch das hat Symbolcharakter, wenn man weiß, dass Brahem normalerweise intime Rahmenverhältnisse bevorzugt. Pianist Francois Couturier, Bassist Björn Meyer und Bassklarinettist Klaus Gesing sind seit vielen Jahren eng vertraut mit Brahems subtilen zwischen Orient und Okzident changierenden Klangwelten und liefern wie auch schon auf früheren Produktionen durchwegs Großartiges. Gänzlich neu ist allerdings die Zusammenarbeit mit dem Orchestra della Svizzera Italiana, denn Brahem hat zuvor noch nie für Orchester geschrieben. Es ist die feine Klinge, für die Anouar Brahem bekannt ist, und auch hier setzt er nicht auf Pomp, sondern lässt die Streicher mit kammermusikalischem Ansatz dezent aber ungemein wirkungsvoll Atmosphärisches beisteuern. Ein breites Spektrum an tiefgehenden Emotionen eröffnet sich in diesen kontrastreichen Kompositionen, die stets stimmig und mit großer Eleganz wunderschöne meditative Elemente mit aufwühlend dramatischen verbinden. Wohin immer die gesellschaftlichen Umwälzungen des lange noch nicht abgeschlossenen „Arabischen Frühlings“ noch führen mögen, „Souvenance“ wird jedenfalls als musikalische Reflexion dazu von zeitloser Gültigkeit bleiben. (ECM/www.lotusrecords.at)