Neu in den Kinos: „Beautiful Wedding“ von Regisseur Roger Kumble (Foto: Leonine)
Michael Löbl · 27. Jun 2023 · Musik

Bregenzer Meisterkonzerte: Petrenko kommt!

Der sechsteilige Zyklus 2023/24 bringt interessante Musiker:innen und internationale Spitzenorchester ins Festspielhaus.

Ja, es stimmt, Petrenko kommt. Und zwar Vasily. Es ist durchaus nicht alltäglich, dass zur selben Zeit zwei Top-Dirigenten mit dem selben Familiennamen in den Konzertprogrammen zu finden sind, aber der Name Petrenko scheint in Russland ähnlich verbreitet zu sein wie bei uns vielleicht die Namen Mathis oder Loacker. Und dass Vasily Petrenko ein Dirigent der internationalen Spitzenklasse ist, darüber gibt es keinen Zweifel.

Nach überaus erfolgreichen Jahren beim Royal Liverpool Philharmonic Orchestra und dem Oslo Philharmonic Orchestra ist der Schüler von Mariss Jansons seit zwei Jahren Music Director des Royal Philharmonic Orchestra in London, mit dem er auch für das fünfte Meisterkonzert nach Bregenz kommen wird. Auf dem Programm stehen die Egmont-Ouvertüre von Beethoven (kleiner Schönheitsfehler – die war letzte Saison auch schon im Programm), das Cellokonzert von Mieczysław Weinberg mit dem Solisten Sheku Kanneh-Mason und Sergei Rachmaninoffs hochromantische, epische zweite Symphonie.

Außergewöhnliche Orchester

Aber beginnen wir chronologisch. Im Konzert Nr.1 lernt das Publikum ein hervorragendes Orchester kennen, die Kammerakademie Potsdam unter ihrem Chefdirigenten Antonello Manacorda. Auch der Pressetext ist voll des Lobes: „Die Kammerakademie Potsdam [...] erspielte sich einen Ruf weit über die Stadtgrenzen hinaus.“ Bedenkt man die flächenmässige Ausdehnung von Potsdam, klingt das vielversprechend. Aber wenn das Orchester live ebenso brillant, virtuos und klangschön spielt wie auf seinen Aufnahmen, sollte das eine außergewöhnliche Vierte von Beethoven ergeben. Vor der Pause sind  Mendelssohns Sommernachtstraum-Ouvertüre und „Les Nuits d'Eté“ von Hector Berlioz, gesungen von Christiane Karg, zu hören.
Eine sehr interessante Kombination folgt im Konzert Nr. 2. Orchestra and Choir of the Age of Enlightenment werden geleitet von einem der ganz großen Bach-Interpreten unserer Tage: Masaaki Suzuki. Mit seinem Bach Collegium Japan hat er unter anderem sämtliche Bachkantaten (laut Programmheft „sämtliche geistigen (!) und weltlichen“) eingespielt und erhielt dafür begeisterte Reaktionen. Was haben die englischen Originalklang-Musiker:innen in ihrem Tourneegepäck? Der Pressetext verrät es: „Die berühmten Weihnachtsoratorien von Johann Sebastian Bach ...“ Öha, ist uns da allen eine musikwissenschaftliche Sensation entgangen?
Das dritte Konzert ist ein Klavierabend mit der aus Monaco stammenden Pianistin Shani Diluka. Grieg, Liszt und zwei Beethoven-Sonaten („Pathétique“ und „Mondschein“) bilden ein Programm mit dem Titel „Zwischen Himmel und Erde“. Shani Diluka hat sich dazu folgende Gedanken gemacht: „Dieses Programm artikuliert sich in der Suche nach Mensch und Natur und führt uns in die Zwischenräume der Seele großer Komponisten.“ Das ist doch mal eine Ansage – man darf gespannt sein.

Ein vergessener Komponist?

Ein mutiges, ganz spezielles Programm haben sich die Verantwortlichen für das vierte Konzert überlegt. Im Mittelpunkt steht der aus Bregenz stammende Komponist Richard Dünser. Auf der Website der Meisterkonzerte hat man ihn allerdings vergessen: „Zwölf herausragende Komponisten vereint an sechs Abenden: Ludwig van Beethoven, Hector Berlioz, Johann Sebastian Bach, Edvard Grieg, Franz Liszt, Alban Berg, Anton Webern, Arnold Schönberg, Mieczysław Weinberg, Sergei Wassiljewitsch Rachmaninov, Paul Dukas, Felix Mendelssohn Bartholdy und Antonin Dvorak.“ Sind das nicht dreizehn? Mit Richard Dünser – dem einzigen noch lebenden Komponisten in dieser Saison – wären es sogar vierzehn!
In diesem Programm gibt es nicht einmal eine Spur von Mainstream, keinen Mozart, keinen Schubert oder Brahms sondern ausschließlich Zweite Wiener Schule und Richard Dünser. Der erfolgreiche Komponist – seit vielen Jahren Professor für Komposition an der Musikuniversität Graz – hat vier ursprünglich für Klavier geschriebene Werke von Alban Berg, Anton Webern und Arnold Schönberg für Kammerensemble bearbeitet. Richard Dünser bezeichnet das als „kompositorische Neu- und Nachschöpfung, die besser sein muss als das Original.“ Auch wird er mit „Entreacte“ eine eigene Komposition beisteuern. Die Ausführenden hätte man nicht besser auswählen können. Das Klangforum Wien zählt zu den international gefragtesten Ensembles für zeitgenössische Musik und die junge oberösterreichische Dirigentin Katharina Wincor ist auf dem Sprung zu einer internationalen Karriere. Den Sopranpart in A. Schönbergs „Buch der hängenden Gärten“ übernimmt Magdalena Anna Hofmann.   

Aus der Neuen Welt

Zum Abschluss des Zyklus 2023/24 kann das Bregenzer Publikum einen weiteren hochinteressanten Dirigenten kennenlernen: Edward Gardner. Der knapp 50-jährige Engländer ist derzeit Chefdirigent sowohl des London Philharmonic Orchestra als auch des Bergen Philharmonic Orchestra aus Norwegen, mit dem er die Ballade „Der Zauberlehrling“ von Paul Dukas, das Violinkonzert von Mendelssohn-Bartholdy sowie die Neunte Symphonie von Antonin Dvorak im Rahmen der Meisterkonzerte präsentieren wird. Ratlosigkeit beim genauen Studium des Programmheftes: Werden Bettina Barnay-Walse (!) und Richard Dünser ihre Erläuterungen zu den Werken wirklich während dieses Konzertes zum Besten geben? Hätte das nicht im Konzert 4 mehr Sinn gemacht? Und warum muss der arme Dvorak auf Tonart und Opusnummer verzichten? Ja, seine Neunte ist die berühmte „Symphonie aus der Neuen Welt“, ein wunderbares, leider aber mittlerweile totgerittenes Tourneestück. Es gäbe da übrigens noch acht weitere Symphonien dieses Komponisten ... Grund zur Freude gibt es bei der Wahl der Solistin, der aus Bayern stammenden Geigerin Veronika Eberle. Sie hat vor ein paar Tagen ein großartiges Konzert im Rahmen der Schubertiade Schwarzenberg gespielt. Ihre Interpretation des Violinkonzertes von Mendelssohn wird das Publikum zweifellos begeistern. 
Trotz kleiner Fehler ist das gedruckte Programmheft nicht nur wegen seines Umfanges beeindruckend. Wie bereits in der vergangenen Saison sollte man sich die Zeit nehmen, um die hochinteressanten, von Anna Mika, Katharina von Glasenapp und Silvia Thurner verfassten Texte zu den einzelnen Programmen konzentriert zu lesen. Auch optisch ist das Heft ein Hingucker, wenn auch auf manchen Seiten bei der Positionierung der Textblöcke etwas nicht ganz geklappt hat.  
Es wird viel geboten bei den Meisterkonzerten 2023/24, „ein vielfältiges Füllhorn an unterschiedlichen, großartigen Musikdarbietungen“, wie es der Pressetext vollkommen korrekt formuliert. Interessenten sollten sich zeitnah um Abonnements kümmern, die guten Plätze im Festspielhaus dürften sehr bald ausverkauft sein.

www.bregenzermeisterkonzerte.at