Authentisch, virtuos und höchst emotional – Soap&Skin ging unter die Haut
Die österreichische Singer-Songwriterin, Komponistin und Schauspielerin Anja Plaschg begeisterte am ausverkauften Dornbirner Spielboden
Weshalb es nicht so machen wie Soap&Skin, und den Artikel mit dem Ende beginnen? Schließlich startete ja Anja Plaschg ihr fulminantes Konzert solo an den Tasten – das exzellente Sextett war erst ab dem zweiten Stück dabei – auch ausgerechnet mit dem aus dem Jahr 1967 stammenden The Doors-Klassiker „The End“. Aber das Ende war erst der Anfang. Also zuerst das Fazit: Das hatte Klasse, das hatte Stil, und die 20 abwechslungsreichen Songs stellten einen Pool voller unterschiedlichster Gefühle dar, in den man mit der außergewöhnlichen Sängerin eintauchen konnte und den man nach zwei aufregenden Stunden wieder verließ – von vielen der banalen Beschwerden geläutert, die uns eine teils haarsträubend sinnentleerte und verkommene Welt tagtäglich aufbürdet. Nach einem grandiosen Konzert, bei dem man immer wieder das Gefühl hatte, etwas ganz Besonderem (von Weihestunde bis Kampf gegen innere Dämonen) beiwohnen zu dürfen, und drei Zugaben wurde Soap&Skin mit frenetischem Applaus verabschiedet.
Exzellente Band für eine unvergleichliche Vokalistin
Bei vielen Gesangsstars interessiert die Band gar nicht so besonders, bei Soap&Skin ist das aber anders, weil sie allein schon durch den Verzicht auf die übliche Rhythm-Section, also Bass und Drums, sehr außergewöhnlich ist. Somit kommt den Bläser:innen und Streicherinnen ein ganz anderes Gewicht zu. Emily Stewart an der Violine, Anna Starzinger am Cello, Viola Falb an der Bassklarinette, Alexander Kranabetter an Horn und Tuba, Martin Ptak an der Posaune und – last but not least – Martin Eberle an der Trompete – lauter exzellente Solisten, wie immer wieder unter Beweis gestellt wurde. Eberle zeichnet als musikalischer Leiter des je nach Konzertort in unterschiedlichen Größen agierenden Ensembles auch für den Großteil der feingewobenen, wunderschönen Arrangements verantwortlich. Das Hauptaugenmerk der Band liegt wohl darauf, mit viel Gespür und Sensibilität einen perfekten Gruppensound zu erreichen und die unterschiedlichsten musikalischen Atmosphären zu erschaffen – jeweils passend zu den durchgehend ausgesprochen emotionalen Songs und zur unvergleichlichen Vokalartistik Anja Plaschgs.
Bereits mit ihrem Debütalbum im Jahr 2009, das sie auch schon am Spielboden präsentierte, war klar, dass sie eine zwar schüchterne und zurückhaltende, aber außergewöhnlich talentierte und immer wieder überraschend unorthodoxe Singer-Songwriterin ist, die diesem Genre durchaus neue Dimensionen zu eröffnen vermag. 16 Jahre später hat sie ihre Talente zur Meisterschaft gebracht und verblüfft mit ihrer außerordentlichen Gabe, elektrisierende Spannungen auf- und wieder abzubauen, unglaubliche Ruhe mit überschäumender Kraft zu vereinen, und mit einer enormen Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit die ganze dynamische Bandbreite vom sanften Flüstern bis zum kraftvoll-exzessiven Schreien auszuloten. Emotionale Wechselbäder, wie man sie selten zu spüren bekommt, verabreicht von einem künstlerischen Multitalent, das musikalisch ganz großes Kino zu bieten vermag – schließlich hat sie ja auch als Schauspielerin schon mehrfach überzeugt. Zuletzt 2024 als tragische Kindsmörderin Agnes im vielfach ausgezeichneten Spielfilm „Des Teufels Bad“ von Veronika Franz und Severin Fiala, zu dem sie auch den Soundtrack schrieb.
Gelungener Mix aus höchst unterschiedlichen Cover-Songs ...
Dreizehn der insgesamt zwanzig Titel waren Fremdkompositionen höchst unterschiedlicher Provenienz, schließlich ging es Soap&Skin bei dieser Tournee, die am Spielboden ihren erfolgreichen Abschluss fand, ja um die Vorstellung ihres aktuellen Cover-Albums „Torso“. Wer es verwunderlich findet, dass eine dermaßen eigenständige, unkonventionelle und kreative Künstlerin nicht nur auf Eigenes setzt, kennt die absolute Hingabe nicht, mit der sich Anja Plaschg ihre Lieblingssongs im besten Sinne einverleibt. Sie macht auf ihre unkonventionelle und stets authentische Art jegliches Material, mit dem sie sich identifizieren kann, zu ihrem eigenen. Den Titel „Torso“ könnte man so deuten, dass sie jeden Song auf das für sie Wesentliche reduziert, ihn mit ihren ganz persönlichen Gedanken kreativ auftankt und mit ihrem sehr speziellen künstlerischen Stempel versieht, wobei sie gerade vom Gesanglichen her ohne Netz und doppelten Boden durchaus auch an Grenzen geht.
Am jeglicher Abdeckung beraubten Klavier intonierte sie solo Jim Morrisons „The End“, ein vielfach deutbares Abschiedslied – sei es von einem geliebten Menschen, von der Kindheit, oder gar vom Leben. Ihre effektvoll verhallte, souverän zwischen laut und leise pendelnde Stimme machte zu den treffsicher gesetzten Akzenten auf den Tasten bereits den Konzertauftakt zu einem gleichermaßen intensiven wie intimen Erlebnis. Darauf folgt als zweites Stück das totales Kontrastprogramm „Meltdown“, das der britische Filmmusik-Spezialist Clint Mansell vor 25 Jahren mit dem Kronos Quartet für Darren Aronofskys „Requiem for a Dream“ eingespielt hat: Ein ausschließlich instrumental dargebotener Stroboskop-Techno-Noise-Kracher, mit dem sich auch die Band erstmals ins Konzertgeschehen einfügte. Ab dem dritten Stück – Cat Powers zwanzig Jahre alter, sanfter Ballade „Maybe Not“ – übten sich Bläser:innen und Streicherinnen dann in mit großer Sensibiltät gesetzten, enorm geschmackvollen Arrangements im Schönklang. Der im Original von Sufjan Stevens schmeichelweich klingende, aber mit einer Vielzahl an Andeutungen und Referenzen verschlüsselte Gitarren-Song „Mystery of Love“ entpuppte sich als erstes flottes, optimistisch gestimmtes Stück des Abends und wurde mit melodiösen Piano-Klängen, geschmackvollem Streicherschmelz und dezenten Bläsern zur warmen Altstimme Plaschgs ins Soap&Skin-Universum transferiert. Den vom legendären Filmmusik-Großmeister Hans Zimmer komponierte Song „Go Yu Tekem Laef Blong Mi“ führte sie zum von Alexander Kranabetter kirchenorgelmäßig gespielten Synthesizer auf Kreolisch in stimmlich ungewohnte Höhen. Dafür schickt sie gleich darauf beim hochdramatischen, von Shirley Bassey bekannt gemachten „Born to Lose“ ihre Stimme höchst effektvoll in den tiefen Keller.
Saß Anja Plaschg bislang mit dem Rücken zum Publikum am Klavier, so wandte sie sich ab der 13. Nummer des Abends den Zuhörer:innen zu und sang stehend „Johnsburg, Illinois“ von Tom Waits genialem Album „Swordfishtrombones“ (1983) zur stimmungsvollen Klavierbegleitung von Martin Ptak. Die auf dem Album bei diesem Song zu hörende singende Säge hatten sie leider nicht im Gepäck, was dem Vergnügen allerdings keinerlei Abbruch tat. Lana del Reys beinhartes „Gods & Monsters“ verwandelte Soap&Skin mit ultratiefer Brummstimme in einen gruseligen Horrorthriller-Soundtrack, wobei hier auch die über das ganze Programm hinweg perfekte Lichtinszenierung voll zur Geltung kam. Darauf folgte – mit stampfendem Rhythmus, spannungsgeladenen Bläsern und sich bis ins Jodler-Artige steigernder Stimme inszeniert – David Bowies „Girl Loves Me“ von dessen epochalem Abschiedsalbum „Blackstar“ (2016). Welch ein verstörender Sterbegesang! Auch der schattseitige, von häuslicher Gewalt und Teufelspakt handelnde, aus dem Jahr 1937 stammende, vielfach gecoverte Robert Johnson-Klassiker „Me And the Devil Blues“ erfuhr eine Soap&Skin-mäßige Dramatisierung, wobei die Sängerin mit lässigen Tanzbewegungen überraschte. Dasselbe galt auch für „Mawal Jamar“ des Syrers Omar Souleyman, der mit seiner explosiven Mischung aus traditioneller Hochzeitsmusik und Elektronik auch den Weg auf die westlichen Tanzböden gefunden hat. Die Integration orientalischer Grooves in das vom Aufbau und Abbau musikalischer Spannungen lebende Soap&Skin-Universum funktionierte perfekt. Zur minimalistischen Interpretation des sechzig Jahre alten Velvet Underground-Hits „Pale Blue Eyes“ verteilte Plaschg weiße Lilien ans Publikum – selbst der gerne grantelnde Lou Reed hätte das neue musikalische Gewand für seinen lakonisch-verzweifelten Love-Song möglicherweise geschätzt. Als reduzierte, stimmungsvolle Piano-Ballade interpretierte sie auch den 1974 veröffentlichten Fingerpicking-Gitarren-Folksong „Stars“ der US-Singer-Songwriterin Janis Ian, der die Tücken und die Vergänglichkeit des Ruhms thematisiert. Ein Thema, das Anja Plaschg sicher nicht ganz fremd ist.
... und zeitlose Eigenkompositionen
Eingebettet in die 13 Cover-Songs waren am Spielboden sieben Soap&Skins-Originals – oder war es gerade umgekehrt? Vier davon stammten vom 2018-er Album „From Gas to Solid / You Are My Friend“. In der expressiven Piano-Ballade „This Day“, die durch den geschickten Einsatz von Bläser:innen und Streicherinnen zwischen verträumter und packender Atmosphäre hin- und herpendelte, erging sich die Sängerin in nagenden Selbstzweifeln. Optimistischer gestimmt waren das muntere „Safe With Me“ und „Italy“, das man fast schon als hoffnungsfrohe Liebeserklärung an dieses Land deuten könnte. Auch im zwischen wundervollen Harmonien und Stimmungseinbrüchen schwankenden „Heal“ träumte sie von der Überwindung der Angst.
Schon auf ihrem Debüt-Album „Lovetune For Vacuum“ (2009) war das kraftvolle, mit gespenstischen Akzenten und geräuschhaften Einsprengseln spielende „The Sun“ zu finden. Auch vom Nachfolge-Album „Narrow“ (2012) hatten es zwei Songs ins aktuelle Repertoire geschafft. Ihre emotional erschütternde Hommage an den verstorbenen „Vater“ war der einzige deutschsprachige Song in Plaschgs Oeuvre und wurde durch eine überaus dramatische Lightshow mit starken Blendern ultradramatisch aufgeheizt. Als dritte und allerletzte Zugabe intonierte sie das atmosphärisch dichte, sehr ruhige und langsame „Boat Turns Toward The Port“, in dem sie das beeindruckende Volumen ihrer Stimme und ihren dramatischen Gestaltungswillen nochmals voll zur Geltung bringen konnte.
Ihre beiden ersten Alben hatte Soap&Skin auch schon im Rahmen der jeweiligen Präsentationstourneen live am Spielboden vorgestellt – das aktuelle Konzert bewies nun, wie tatsächlich zeitlos ihre besten Songs sind und wie perfekt sie auch noch Jahrzehnte später ins immer reichhaltiger werdende Repertoire passen. Dass Soap&Skin absolut unverwechselbar ist und in ihren Konzerten für jede Menge Gänsehautmomente sorgt, haben wir eh schon längst gewusst.