„Sunset Boulevard“ von A.L.Webber in der Inszenierung des Musiktheaters Vorarlberg (Foto: mtvo).
Karlheinz Pichler · 29. Feb 2020 · Ausstellung

Wenn sich Ideen durch Form und Farbe visuell konkretisieren

Die "Konkrete Kunst" konnte zu keiner Zeit für sich reklamieren, die wichtigste Kunstströmung zu sein, denn Kunst, die aus dem Intellekt kommt, hatte es immer schwerer als diejenige aus dem Bauch. Auf der anderen Seite ist sie jedoch die einzige Stilrichtung, die seit nunmehr weit über hundert Jahren permanent präsent ist. Unter dem Titel "ganz konkret" gibt das QuadrART Dornbirn anhand zwölf internationaler Positionen Einblick in das aktuelle Schaffen dieser Kunstströmung.

Für den Freiburger Professor Dietmar Guderian, der die aktuelle Ausstellung im QuadrART Dornbirn gemeinsam mit der Vorarlberger Künstlerin Ilse Aberer, die selber auch an der Schau partizipiert, kuratiert, sind es vor allem drei wesentliche Merkmale der Konkreten Kunst, die im Unterschied zu anderen Kunstrichtungen ihre globale und zukunftsweisende Bedeutung ausmachen. So arbeite die Konkrete Kunst erstens mit international bekannten und genutzten unter anderem mathematischen Elementen und Zusammenhängen. Zweitens sei ihre Art der Kunstvermittlung weitgehend nichtverbal. Und letztlich könne Konkrete Kunst geradezu völkerverbindend losgelöst von kulturellem Vorwissen ausgeführt und betrachtet werden. Damit sei sie auch geeignet für „bildungs- bzw. traditionsferne“ Bevölkerungsschichten, aber auch für Volksgruppen aus verschiedenen Kulturkreisen, betont Guderian.        
Alle aktuell in Dornbirn präsentierten Positionen, inklusive Aberer, gehören der von Guderian gegründeten Gruppe für „Neue Konkrete Kunst“ an. Und sämtliche ausgestellten Werke sind großteils in den vergangenen zehn Jahren entstanden.      

Jenseits aller Symbolik      

Mit dabei ist etwa der aus Victor Vasarelys Geburtsstadt Pécs stammende Ungar Laszlo Otto, der in einer schon fast historisch zu nennenden Weise basierend auf der arithmetischen Folge 1, 2, 3, 4, ... Rasterbilder malt. Der 1966 geborene Künstler postuliert: „Die sich hinter der sichtbaren Welt verbergende Welt der geordneten Zahlen nimmt in der Geometrie Gestalt an; oder man kann auch sagen, dass die unsichtbaren Welten durch die Geometrie sichtbar werden ... Ich möchte Bilder schaffen, die den Betrachter geistige und intellektuelle Inhalte erleben lassen - so, wie sich die konkrete Kunst die größte geistige Herausforderung zum Ziel macht: das Kunstwerk an sich, welches nur sich selbst und keine andere Wirklichkeit widerspiegelt, und jenseits von Symbolik die Wirklichkeit des menschlichen Selbst und des Seins resümiert.“       
Anders als Laszlo Otto setzt der Nürnberger Gerhard Hotter bei seinen Rasterbildern nicht auf die Folge der natürlichen Zahlen, sondern stützt sich auf die Langford'sche Folge, eine ganz spezielle Zahlenfolge, die sogar nicht jedem Mathematiker spontan einfällt. Das Besondere daran ist: Der Künstler verwendet ein streng kontrollierbares Ergebnis der geistigen Beschäftigung der Wissenschaftler mit den natürlichen Zahlen, setzt es aber nach Ansicht von Kurator Guderian so gekonnt ein, dass ein in den geistigen Gehalt des Bildes nicht eingeweihter Betrachter eine in dem Werk scheinbar existente strenge Gesetzmäßigkeit zwar zu spüren scheint, sie aber wegen der mangelnden Information nicht zu überprüfen vermag.       
Auch der Künstler Martin Voßwinkel aus Worpswede setzt auf ein Rasterprinzip. Er überlagert in seinen „Lichtnetzen“ jeweils mehrere netzartige, ebene konkrete Kunstwerke und gelangt zu einer so nicht vermuteten „Pseudo-Räumlichkeit“ (Guderian).       
Werner Dorsch nennt sein beiden miteinander korrespondierenden Drucke auf Aludibond "Nach oben oder nach unten". Er setzt bei seinem Vorgehen eine zentrale geistige Errungenschaft aus dem frühen 16. Jahrhundert, nämlich die perspektivische Darstellung, so gekonnt ein, dass zwei scheinbar gleiche Situationen in verschiedene Richtungen interpretiert werden können. Dorsch treibt dabei auch sein Spiel mit optischen Täuschungen und referenziert solcherart die Op-Art. Durch die präzise Anordnung geometrischer Formen in feinen Schattierungen nehmen seine zumeist in den (Nicht)Farben Weiß, Schwarz und Grau erzeugten Bildräume einen scheinbar dreidimensionalen Charakter an.      
Die Nürnbergerin Gisela Hoffmann wiederum geht in den Raum hinaus und greift wie schon seinerzeit Max Bill formale Elemente auf, die an das vor vielen Jahrzehnten erfundene Möbius-Band erinnern, das auch von Eschers auf dem Band endlos hintereinander herlaufenden Ameisen bekannt ist. „Aber die Künstlerin stülpt ihrem Werk, das nur scheinbar ein Möbius-Band ist, ein anspruchsvoll erdachtes räumliches Konzept über: Die Skulptur ist achsen- und rotationssymmetrisch“, erklärt Kurator Guderian. Für ihn erreichen die dreidimensionalen Arbeiten Hoffmanns, ähnlich wie bei Ilse Aberer, durch den neuartigen Einsatz Jahrhunderte alter Gestaltungsprinzipien – bei Aberer ist es der Goldene Schnitt – neue Seherlebnisse für den Betrachter. Die von Ilse Aberer zur Schau gestellten Skulpturen gehören zu einer Serie, die dem Alphabet folgend aus 26 unterschiedlich farbigen Arbeiten besteht, die alle aus einem Quadrat erarbeitet wurden und nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten geteilt und neu zusammengefügt wurden. Bei aller Stringenz ergeben sich hier für Aberer unzählige Möglichkeiten zur Variation.       
Die Schweiz ist mit dem 1943 in Zürich geborenen Grafiker Rolf Schneebeli in „ganz konkret“ vertreten. Bei seinem Beitrag dreht sich unter einem auf eine durchsichtige ebene Grundlage aufgetragenen perfekten zentralsymmetrisdchen Strahlenkranz eine runde Schreibe mit gleichem Zentrum und gleichem Strahlenkranz. Aber die Drehung erfolgt in einer kaum wahrnehmbaren, kleinen Geschwindigkeit. Guderian stellt dazu fest: „Zwei übereinander gelagerte, durch und durch Konkrete Kunstwerke vermögen es so, den Betrachter zu verwirren, helfen ihm erst nach geraumer Eingewöhnung, das gesamte Konkrete Kunstwerk geistig zu durchdringen, zu überprüfen und dann entspannt zu genießen.“
Weitere, nicht minder interessante Arbeiten, stammen von Waltraud Cooper, Ingo Glass, Vesna Kovacic, Edgar Diehl sowie Michel Jouet.        

Zwischenspiel       

Laut dem Galeristen und Sammler Erhard Witzel, der das QuadrART Dornbirn zusammen mit der Künstlerin Uta Belina Waeger betreibt, stellt die aktuelle Gruppenschau „ganz konkret“ eine Art Zwischenspiel dar, bis dann im Herbst mit „In guter Gesellschaft“ ein neues Ausstellungsformat gestartet werde. Witzel gegenüber KULTUR zur geplanten neuen Reihe: „Der Tradition folgend wird zu jeder Show ein Kurator eingeladen, der die jeweilige Ausstellung verantwortet. Das sollen zukünftig Vorarlberger Künstler sein, die dann nicht nur mit eigenen Arbeiten in der von ihnen organisierten Ausstellung vertreten sein sollen, sondern sie werden drei bis sechs Kollegen mit dazu einladen, die mit ihren künstlerischen Statements in einen Dialog treten. Mit diesem neuen Format soll der Fokus mehr auf die spannende Vorarlberger Kunstszene gelegt werden, die bereits seit geraumer Zeit immer weniger Möglichkeiten hat, im 'non kommerziellen' Bereich in Vorarlberg ihr Leistungsspektrum zu präsentieren.“      

„Ganz KONKRET“
Ilse Aberer (A), Waltraut Cooper (A), Edgar Diehl (D), Werner
Dorsch (D), Ingo Glass (RO), Gisela Hoffmann (D), Gerhard
Hotter (D), Michel Jouet (F), Vesna Kovacic (SI), Laszlo Otto (HU),
Rolf Schneebeli (CH), Martin Vosswinkel (D)

kuratiert von Dietmar Guderian u. Ilse Aberer
bis 13.5.
Do-Sa 17-19 u.n.V.
QuadrART Dornbirn
www.quadrart-dornbirn.com