Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Jonas Berkmann · 25. Mai 2015 · Ausstellung

Warum tut das alles so weh? - Thomas Hoor und May-Britt Nyberg Chromy in der Artenne Nenzing

Thomas Hoor kennt man bislang vor allem als Maler farbintensiver Ölbilder, May-Britt Nyberg Chromy für Acrylarbeiten auf Leinwand sowie Pappmascheeobjekte. Unter der ominösen Headline „Kein Gras, kein Heu, kein Leckstein“ zeigen die beiden Kunstschaffenden in der aktuellen Ausstellung in der Artenne Nenzing nun erstmals Zeichnungen (Hoor) respektive Linoldrucke (Nyberg Chromy).

Der Titel der Ausstellung bezieht sich nicht zuletzt auf den Ort der Präsentation, nämlich den ehemaligen Kuhstall des altehrwürdigen Gutsgebäudes, in dem die Artenne untergebracht ist und den die Inhaber Hildegard und Helmut Schlatter in einen kleinen aber feinen „Whitecube“ verwandelt haben. Statt Lecksteinen gibt es dort seit einigen Jahren und auch weiterhin Kunst zu sehen. Zudem wird der Raum für andere kulturelle Veranstaltungen wie etwa Lesungen, musikalische Aufführungen sowie Vorträge genutzt.

Wenn es Adolf zwischen den Beinen juckt


In den Zeichnungen des 1968 in Hohenems geborenen und heute in Bregenz lebenden und arbeitenden Thomas Hoor ist immer viel los. Er erzählt darin Geschichten, deren Inhalte er häufig aus Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, Fotografien und aber auch elektronischen Medien herausfiltert und die vom dahinrasenden Weltenlauf handeln. Er verweist in seinen Bildern auf alltägliche Situationen, die jeder von sich selber kennt, oder aber auch auf politische, soziale, gesellschaftliche oder historische Ereignisse, die besonders berühren. Szenen aus dem Sport finden sich genauso auf den Blättern wie Frauen in ihrer ganzen Nacktheit oder Tiere in ungewöhnlichen Schräglagen und mit teils menschlichen Eigenschaften. Hoor zeichnet das Leben pur, mit all seinen guten und schlechten Seiten.

Der Strich Hoors ist einmal unerhört kräftig und sicher, ein andermal wieder unsicher und krakelig, und dann wieder illustrativ und fast zart. Auf den ersten Blick wirken seine Zeichnungen überaus realistisch, erst beim zweiten Hinsehen wird man gewahr, dass Proportionen und Details, wie etwa Gliedmaßen, mitunter ziemlich aus der Spur sind. Fast immer enthalten die Zeichnungen textuelle Einschübe: Statements von dargestellten Personen, Erklärungen, Ausrufungen. Vielfach in Sprechblasen gesetzt. Die Texte laden die Arbeiten zusätzlich auf, bezeichnen dasjenige, was sich dem Bild entzieht. Auf einem Blatt ist beispielsweise im rechten oberen Viertel eine Karikatur Hitlers erkennbar, wie er sich gerade zwischen die Beine greift und via Sprechblase fragt: „Warum tut das alles so weh?“ Gleich daneben eine Schnecke mit einem Gehirn als Schneckenhaus und darüber der Spruch: „Ich brüllte wie Moses, ich brüllte wie eine Schnecke“. Und hier gleich darunter eine Frau mit entblößten Brüsten, den Kopf nach vorne gebeugt und die Worte aus dem Mund strömend: „Das Leben selber erbrechen“.

Von Schamanenkühen und anderem Getier


Die aus Dänemark stammende und seit gut 25 Jahren in Feldkirch beheimatete Künstlerin May-Britt Nyberg Chromy kennt man eigentlich vor allem wegen ihrer Pappmachee-Objekte und Acryl-Collagen. Dass sie sich daneben aber auch ständig mit der Linolschnitttechnik als eigenständiger Disziplin beschäftigt, blieb bislang eher im Hintergrund. Die Künstlerin schätzt an diesem Bereich vor allem das prozessuale Schaffen. Man fertigt einen Entwurf an, überträgt und schneidet ihn in Linol und bringt ihn dann in Form eines Ein- oder Mehrfarbendrucks aufs Papier. Das besondere daran sei, dass man zwar die Vorgänge bis zu einem gewissen Grad genau kalkulieren und steuern könne, dass aber sowohl beim Schneiden als auch beim Drucken immer wieder Unvorhergesehenes und Überraschendes passieren könne. Zudem stellt diese Technik, wenn man an den Entwurf, Schnitt und Druck denkt, auch eine gewisse Referenz an ihren ursprünglich erlernten Beruf einer Textildesignerin dar.

Nyberg Chromy präsentiert in der Artenne einen Querschnitt von Arbeiten, die darlegen, wie vielfältig diese Technik sein kann. Es sind auch Arbeiten aus den 1990er-Jahren darunter, die davon zeugen, dass sich die Künstlerin damals ernsthaft mit gesellschaftlichen Themen beschäftigte. Immer wieder schneidet sie auch Porträts von Personen des persönlichen Umfelds sowie Alltagsgegenstände in die Linolplatten, um sie dann in Ein- oder Mehrfarbendrucken umzusetzen. Die neueren Arbeiten sind vielfach von ironischer Verspieltheit getragen, wie etwa eine schräg-archaische „Schamanenkuh“ mit Hirschgeweih. In anderen neuen Beispielen spiegelt sich die Experimentierfreude der Künstlerin, zum Beispiel wenn sie den Linolschnitt mit anderen Techniken, wie etwa der Collage, verschränkt.

Gesellschaftlich Breitgefächertes und persönliches Umfeld


Inhaltlich setzt sich Thomas Hoor in seinen Zeichnungen vor allem mit gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und Problemen auseinander. Mit dem Wahn des Leistungssports, den Auswüchsen der Rock- und Popkultur, dem des Drogen- und Konsumzwanges. Und wenn etwa auf einer Arbeit ein abgehalfterter alter Rockgitarrist von einer Clique auf einem Motorrad sitzend überholt wird, die äußerlich aufgrund von Turban und Maschinenpistolen stark an die Dschihadisten erinnert, so wird offensichtlich: Der degenerierte, überalterte, von Alkohol- und Drogen geschwächte Westen läuft große Gefahr, vom fundamentalistischen Osten überrannt zu werden. Während also Hoor einen eher globalen Blick auf gesellschaftliche Befindlichkeiten wirft, konzentriert sich Nyberg-Chromy auf ganz persönlich gefärbte Ausschnitte von Welt, Umgebung und Traum: Menschen aus familiären und Freundeskreisen, bruchstückhafte Erinnerungen an Reisen und Tätigkeiten, Phantasie- und Sehnsuchtsvorstellungen wie etwa Regentänzer oder fliegendeTiere.

 

Thomas Hoor, May-Britt Nyberg Chromy:
Kein Gras, kein Heu, kein Leckstein

Artenne Nenzing
Bis 11.6.2015
Do 17-19, So 15-19, u.n. Vereinb.
www.artenne.at