Tänzerisch auf Spurensuche im mittelalterlichen Spähturm - Helga Griffith im Kunstmuseum Ravensburg
Wer gegenwärtig das Eingangsfoyer des Kunstmuseums Ravensburg betritt, dem dringen leise, fast fremd anmutende Cello-Klänge ins Ohr. Sie stammen von einem Soundtrack, den der Bornheimer Komponist Johannes S. Sistermanns eigens für die Video-Installation „Mirror Moves“ der in Ehingen geborenen deutschen Künstlerin Helga Griffiths (*1959) geschrieben hat. In diesem Videofilm, der als Doppel-Großprojektion in einem mit Hilfe von Stellwänden eigens geschaffenen Raum-im-Raum im hinteren Bereich der Eingangshalle gezeigt wird, setzt sich die Grenzgängerin der Disziplinen mit Begriffen wie Wahrnehmen, Nachdenken, Erinnern und Vergessen auseinander.
Im Zuge eines unter dem Titel „Fremde Blicke“ laufenden Artist-in-Residence-Programmes hat Griffiths den mittelalterlichen Spähturm „Mehlsack“ zum Versuchsfeld auserkoren. Dieser 51 Meter hohe Turm, der als Wahrzeichen Ravensburgs gilt, hat seinen Namen von seinem weißen, runden Aussehen erhalten. Die Plattform des „Mehlsacks“ diente den Bürgern damals zur Überwachung des Geländes. Griffiths überlappt das Ortsspezifische dieses Turmes mit der nordischen Sage von Hugin und Munin, den beiden Raben des Gottes Odin. Odin hat sie jeden Tag ausgesandt, um die Welt zu erspähen und ihm die Neuigkeiten zu berichten.
Von eben dieser Überlieferung ausgehend, hat Griffith in Kooperation mit den Tänzern Giuseppe und Michele de Filippis den Turm erforscht. Die Tänzer stellen in choreografierten und aufeinander abgestimmten Abläufen die Bewegungen der Raben nach und ergeben sich ganz in das sinnliche Ertasten und Erkunden des Gedächtnisortes und seiner historischen Spuren. Halb hüpfend, mit leicht abgespreizten Armen und jeweils einem federbestückten Ärmel bewegen sie sich mit behänder Leichtigkeit über den Bretterboden des gemauerten Rund.
In Kontrast zu dieser Tanzperformance der eineiigen Zwillingstänzer auf Basis einer High-Speed-Videoaufnahme durch die Räume des Turmes sind im zweiten Teil der Doppelprojektion Großaufnahmen von Raben einer Rabenkolonie des Max-Planck-Institutes zu sehen.
So poetisch und meditativ sich die Installation im Zusammenspiel mit den Klängen Sistermanns' gibt, im selben Maße ist sie auch technisch hintergründig. Denn bei jener weißen, romantischen Landschaft mit ihren Hügeln und Tälern, die dem „Erkundungsflug“ der Tänzer durch das alte Gemäuer immer wieder unterlegt wird, handelt es sich um Montagen, die aus unzähligen tomografischen Abbildungen des Gehirns der Künstlerin entstanden sind. Sagenhaftes und Wissenschaftliches verbündet sich bei Griffiths zum Phänomen des Erinnerns und der Identitätsschaffung.
Helga Griffiths: Mirror Moves
Kunstmuseum Ravensburg
Bis 10.4.
Di bis So 11-18, Do 11-19
www.kunstmuseum-ravensburg.de