Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Karlheinz Pichler · 06. Jul 2020 · Ausstellung

Peter Wehinger nutzt Gemäuer der Ruine Alt-Ems für provokantes Statement

Der letzte Anstieg zur Burgruine Alt-Ems auf dem Hohenemser Schlossberg ist steil. Doch die Mühe lohnt sich. Ist man einmal beim Gemäuer der ehemaligen Staufer-Festung angelangt, die gegen Ende des 12. Jahrhunderts mit ihren 800 Metern Länge und 85 Metern Breite zu den größten und mächtigsten Burganlagen Mitteleuropas zählte, so eröffnet sich dem Besucher ein atemberaubender Ausblick. Über das Vorarlberger und Schweizer Rheintal hinweg, auf die zum Bodensee hin auslaufenden Hügelketten des Kantons St. Gallen sowie über den See weit über Lindau und Friedrichshafen hinaus ins Schwäbische und Baden-Württembergische hinein.

Aber das ist nicht alles, was es zu sehen gibt. Bereits bei der ersten mächtigen Ruinenwand wird man aktuell von einem Schriftzug überrascht, der, in riesigen schwarzen Lettern geschrieben, von einer in rund sechs bis sieben Meter Höhe befestigten weißen Planenbahn prangt. „Ohne Kunst“ steht da zu lesen. Das wirkt zunächst verwirrend. Damit lässt sich nicht viel anfangen. Erst beim Weitergehen, wenn der Blick auch die hintere Wand erfasst, erschließt sich der ganze Satz zum provokanten Statement „Ohne Kunst wärs schöner“. Die Textinstallation stammt vom Dornbirner Künstler Peter Wehinger, und die Frage ist, was er damit behaupten will. Dass die altehrwürdige Burg ohne künstlerischen Eingriff schöner wäre? Dass die Welt an und für sich ohne Kunst schöner wäre? Wäre dies der Fall, dann würde er auch sein Selbstverständnis als Künstler von Grund auf in Frage stellen. Es wäre gleichsam die Zerstörung seiner eigenen Identität. Was hat es also mit dieser herausfordernden Behauptung, die ohne Punkt und Komma, ohne Frage- und Rufzeichen einfach so für sich im öffentlichen Raum steht, auf sich? Der Schöpfer des Statements selbst will die sich aufdrängenden Fragen nicht beantworten. Der Betrachter soll sich selber seinen Reim darauf machen.      

Paradoxon     

Aber dass auch ein Paradoxon hinter Wehingers Diktion steht, scheint evident. Denn gerade der Shutdown hat hinlänglich bewiesen, wie armselig der Lebensalltag ohne Theateraufführungen, Konzerte oder Kunstausstellungen wäre. Auch Assoziationen zum kürzlich stattgefundenen Schweigemarsch auf der Wiener Ringstraße mit Transparenten wie „Ohne Kunst wird es still!“ werden erweckt. Wehingers in Großbuchstaben abgesetzter Kommentar „Ohne Kunst wärs schöner“ stellt sich somit selbst in Frage. Seine Proklamation hebelt sich selber aus. Sie spricht der Kunst ihre Existenzberechtigung ab, während sie gleichzeitig selber Kunst ist.      

Sprache als Material      

Peter Wehinger, der 1971 in Dornbirn geboren wurde und sein Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Gunter Damisch, Monika Bonvicini und Peter Kogler absolviert hat, arbeitete bereits schon des Öfteren mit Sprache als Material. Aber nicht in dieser monumentalen Dimension. Denn der Slogan „Ohne Kunst wärs schöner“ ist in ein Meter hohen Versalien auf zwei jeweils über sieben Meter lange weiße Bahnen aus Kunststoff geschrieben und somit weithin sichtbar. Der Schriftzug ist sogar von der Stadt aus zu erkennen, und zwar auch bei Nacht, denn er wird mit Scheinwerfern angestrahlt.      
In früheren Projekten verwendete der Künstler Sprache zum Beispiel im Rahmen von Audio-Arbeiten. Erinnert sei etwa an die Soundinstallation „Ihr hab das Recht, gesittet pfui zu sagen!“ nach einem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe. Die unter diesem Titel im öffentlichen Raum gesammelten, kritischen Meinungen zu zeitgenössischer Kunst wurden im Rahmen der Langen Nacht der Museen 2013 am Bahnhof Bregenz mit 35 MP3-Abspielgeräten installiert, so dass pro Abspielgerät jeweils eine einzelne Meinung hörbar war.
Oder im Rahmen einer Serie kleinformatiger Zeichnungen stellte er Darstellungen alter Männer Sprüche wie „Your only limit is you.“, „No pain no gain“, „Get comfortable with uncomfortable“ oder „Life is about kicking ass, not kissing it“ gegenüber.     

Siebte künstlerische Bespielung des Schlossbergs      

Nach „Eisenartig“ von Edgar Büchel 2014, „Blickwinkel“ von Hubert Lampert 2015, „Fürchtet Euch nicht“ von Arno Egger 2016, „Biographie“ von Marbod Fritsch 2017, „155 Schritte ins Paradies“ von Uta Belina Waeger 2018 und „Work Life Balance“ von Roland Adlassnigg 2019 ist die textuelle Konzeptarbeit von Peter Wehinger bereits die siebte zeitgenössische Kunstinstallation auf dem Hohenemser Schlossberg. Laut Dieter Heidegger, dem Leiter des Verkehrsvereins Hohenems, der jeweils dazu einlädt, erfolgt die Auswahl der KünstlerInnen auf sehr spezielle Art. Und zwar wird immer ein/e bei der Vernissage anwesende/r Künstler/in dazu aufgefordert, die nächstfolgende Installation auf/in der Burgruine Alt-Ems zu bestreiten. Wie dies in diesem Jahr bewerkstelligt wird, scheint allerdings noch offen, denn aufgrund der Social-Distancing-Vorschriften gab es heuer gar keine Vernissage. Vielleicht auf Empfehlung von Peter Wehinger? Wie auch immer: Wehinger lieferte im Gespräch mit KULTUR noch den Hinweis, dass der Verkehrsverein Hohenems früher „Verschönerungsverein“ hieß. Womit wieder ein schräger Bogen zum Statement „Ohne Kunst wärs schöner“ gespannt scheint.      
Die Installation des Dornbirner Künstlers auf der Burgruine Alt-Ems ist übrigens frei zugänglich und noch bis 11. Oktober 2020 zu erkunden.