Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Peter Niedermair · 13. Apr 2017 · Ausstellung

„peace art hotel 2“ - Zum aktuellen Projekt von Ruth Gschwendtner-Wölfle im Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis

Gemeinsam mit Irene Dworak-Dorowin „Sacred Ground“, Anton Moosbrugger und Christian Gerstenmayer präsentiert die Künstlervereinigung derzeit Ruth Gschwendtner-Wölfles neues Projekt „peace art hotel 2“. Die Ausstellung wurde am Palmsonntagwochenende eröffnet und ist bis 7. Mai zu sehen. Mit „peace art hotel 2“ bespielt die Künstlerin das Grundgeschoss und die Kellerräume im Tiefgeschoss des Künstlerhauses, die Arbeiten von Dworak-Dorowin und Anton Moosbrugger sind im 1. Stock, Christian Gerstenmayer ist im 2. Stock zu sehen.

Das Hotel Ensemble im Künstlerhaus


Die Ausstellung im Künstlerhaus Bregenz simuliert eine Hotelsituation mit Rezeption, Lounge und Diningroom. Im Untergeschoss gibt es ein Schlafzimmer, ein Lesezimmer, einen Meditations- und einen TraniningsRaum. Im Parterre sind Fotos von Raumdetails zu sehen, die als abstrakte Fotografien auftauchen und an diversen Orten im Palais wieder erkannt werden können. Die gefundenen Bilder und Lichtreflexe spielen mit der Frage, wie der reale Raum und der imaginierte sich zueinander verhalten. Das Loslösen von Details aus dem Kontext wird dabei zu einer künstlerischen Verfahrensweise, einer Methode, die gefundene Ästhetik stimuliert Entdeckerfreude und wird zu einem Impuls für aktive Wahrnehmung, einem zentralen Thema der Künstlerin. Die Entdeckung der Welt, wie die Künstlerin in ihrem zur Ausstellung gefertigten Büchlein „peace art hotel“ schreibt, beginnt hier und jetzt, an der Stiege außen, die zum Eingang führt, deren Bilder verfremdet als winterliche Aufnahme mit Resten von Schnee, der liegen geblieben war, im parkseitigen Ausstellungsraum zu entdecken sind. „Der Stufenweg zum Frieden führt über die Achtsamkeit. Schmelzende Schneebröckchen auf der Treppe zum Palais spielen Theater auf einer unbeachteten Bühne.“ Im „KunstLesezimmer“ mit der Bezeichnung „WerteSpeicher“ findet man „LiegenGebliebenes“, das, wenn man es genauer betrachtet, neben seinem Materialwert, unerwartete Schönheit offenbart. Im Sinne der Künstlerin lesen und begreifen wir die Welt im Außen je nach den Konstellationen und dem Vorverständnis der eigenen inneren Bilder. Die ihrer im Künstlerhaus als Gesamtkunstwerk gezeigten Kunst eingeschriebenen Vorstellungen nehmen das Thema der sich ständig erweiternden und verändernden Sehgewohnheiten auf. Die Künstlerin ist überzeugt, dass diese Sehgewohnheiten von Dingen auf Menschen übertragen werden, weil Sehen lernbar sei.

Zum Projekttitel


Das getitelte Dreigestirn des Projekts „peace art hotel 2“ eröffnet dabei assoziative Spielräume für die Besucherinnen und Besucher und lässt diese an ihre persönlichen Erfahrungen anknüpfen. Für diese gilt, nach wie vor, die von Galileo Galilei vorgetragene Aufforderung an die Vertreter der Kurie im Prozess von 1633, mit einem Blick durch die Fernrohre doch ihren eigenen Augen zu glauben, wenn sie schon nicht seinen Worten zu den neuen Erkenntnissen über das heliozentrische Weltbild glaubten. Die Kunst, die sich hier zwischen den Frieden und das Hotel schiebt, taucht an sich nicht offen politisch instrumentalisierbar auf, zu sehr ist es auf die Sensibilisierung der Wahrnehmung orientiert. Die heutige Sehnsucht nach Frieden und friedlicher Koexistenz der Menschen und Gesellschaften ist ebenso universell wie die Allgemeinen Menschenrechte, die sich historisch gesehen über einen langen Zeitraum in deutlichen Zäsuren entwickelt haben, von den ganz frühen parlamentarischen Ereignissen im baskischen Guernica oder in Katalonien, über die Aufklärung zu 776 und 1789 herauf zur Erklärung der Menschenrechte 1948. Dass ein möglicher Weg über die Achtsamkeit gehen kann, ist unbestreitbar, wie auch die Kunst an sich mitunter einen Beitrag zur Sensibilisierung leisten kann, je weniger sie als „moralische Anstalt“ im Sinne Friedrich Schillers daherkommt. Und dass das Hotel als Hotel mehr sein kann als ein Ort, an dem man unterwegs funktional gesehen Unterkunft findet, Erholung und Entspannung, wird in Verbindung mit bestimmten legendären Hotels deutlich. Doch das wäre jetzt eine andere Geschichte.

peace art hotels


Mit „peace art hotel 2“, das die in Augsburg geborene, in München an der Akademie der Bildenden Künste studierte, 1986 nach Vorarlberg übersiedelte Ruth Gschwendtner-Wölfle im Bregenzer Thurn und Taxis zeigt, implementiert die Künstlerin die Ideen der peace art hotel Konzepte zur Beförderung achtsamer und friedensstiftender Kommunikation. Von Sept. bis Dez. 2016 zeigte Ruth Gschwendtner-Wölfle im Rahmen der Ausstellung „Grenzgänger“ im Ottenkunstraum in Hohenems, wo der „künstlerisch-nachbarschaftliche“ Blick in das gegenstandslose Arbeiten Liechtensteinischer KünstlerInnen geöffnet wurde, ihre Installation „peace art hotel 1“ als Start und Pilotprojekt für eine weitere Folge von peace art hotels, die weltweit möglich sind. In „peace art hotel 2“ thematisiert sie Fragen der Wahrnehmung, insbesondere der visuellen, und forscht innerhalb der Ausstellung mit einem Rahmenprogramm, das im Wesentlichen aus Gesprächen und Präsentationen besteht, wie diese friedensstiftend sensibilisiert werden kann. Wie in einem Amalgam, einer spielerischen Versuchsanordnung, lässt sie dabei Formen der Wirklichkeit, reale, vorgefundene und fiktive, in eine Beziehungskonstellation zueinander treten und schaut dazu, wie sie die Perspektiven auf Weg bringen kann. peace art hotels sind temporäre, friedensfördende Kunst-Installationen an Orten, wo Menschen sich für einige Zeit aufhalten, z.B. in Hotels, Museen, Restaurants, Cafés. Die historischen Wurzeln der peace art Bewegung sind weitläufig und vielschichtig; sie gehen der Frage nach, wie man dem „Frieden eine Form geben“ kann, wie dies Robert Filliou, tat, als er 1985 zusammen mit René Block zu einer BIENNALE DES FRIEDENS in Hamburg aufrief. Ruth Gschwendtner-Wölfles bescheidener Beitrag damals war der geheime Beginn einer für sie omnipräsenten Fragestellung: Wie kann ICH dem Frieden eine Form geben? peace art hotels sind nun eine solche Form, die die Künstlerin an verschiedensten Orten immer wieder neu installieren will.

„Sehen ist lernbar“


Seit 2001 verstärkt sich bei Ruth Gschwendtner-Wölfle ein Fokus auf visuelle Wahrnehmung, es folgen zunehmend bewusst friedensbezogene künstlerische Arbeiten, die die Grundlage für einen sehr beständigen, konstanten Weg vorzeichneten. Zwei Projekte in den letzten Jahren waren es, die mich mit Ruth in Verbindung brachten. Das erste Projekt, ein Lektorat ebenso wie das zweite, begann 2002 mit der Publikation „sehen ist lernbar - Beiträge zur visuellen Alphabetisierung“, ein Grundlagenwerk, zu dem 2004 ein Handbuch nachgereicht wurde, hrsg. von Christian Doelker, Ruth Gschwendtner-Wölfle und Klaus Lürzer. Im Klappentext heißt es: „Unser westliches Bildungssystem basiert auf der Vermittlung verbaler Sprachen. Hier werden Lese- und Schreibkompetenzen vermittelt. Seit Januar 2002 arbeitet die Projektgruppe ‚Sehen ist lernbar‘ der Kunstschule Liechtenstein an einem eher ungeläufigen Thema: nämlich einer visuellen Alphabetisierung. Im Herbst erscheint das gleichnamige Studienbuch, das sich an Lehrende und Lernende aller gestalterischen Berufe und Ausbildungsgänge richtet, aber auch an Museumspädagogen und alle, denen das Sehen längst vergangen ist. Die fundamentale Bedeutung einer geschulten Wahrnehmung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Zahl der Bild-Impulse, die unser Bewusstsein täglich überschwemmen, ist vielfältig und weit subversiver als das Wort. Das Buch befasst sich mit dem Lesen und Verstehen visueller Phänomene, von Gemälden und Architektur über Alltagsgegenstände zu Bildern, die Geschichte manipulieren und neue Idole schaffen; es zeigt Aspekte rein visueller Kommunikationssysteme wie der Gebärdensprache, unterschiedliche Betrachtungsweisen eines wirklichen Vulkans und künstlerische Näherungen durch ‚ViewBoxes‘.“

Wie kommt die Welt in den Kopf?


Das zweite Projekt, „was liegen blieb“, jenes 2010 entstehende Buch, für das Franz Hohler Tagebuch Aufzeichnungen liefert und Ruth Objektbilder in zwölf thematischen Kästen zu je 24 Materialproben beifügt, mit denen sie an den Spuren der Vergänglichkeit arbeitet, d.h. sie aufräumt. In ihrer Gesamtheit werden diese kleinen, unscheinbaren Dinge des täglichen Lebens für die Künstlerin zu Metaphern persönlicher und sehr komplexer Lebens- und Handlungszusammenhänge. Und, in der Folge, sind sie Auslöser für zahlreiche philosophische Überlegungen. Das vielschichtige Verfahren ist dem wirklichen Leben und wie der Mensch es wahrnimmt sehr nahe, es erinnert an das Archivieren, wie es im Strukturieren der individuellen Welt, im Gruppieren und Variieren, im Differenzieren und besonders in der Aneignung von Welt funktioniert. Ihre eigentliche Frage ist, wenn man es zentriert und zuspitzt, wie die Welt in den Kopf kommt. Und welche Rolle dabei im philosophischen Sinne Wittgensteins These im Traktatus spielt, wie wir verbalsprachlich die Dinge dieser Welt entlang der Grenzen unserer Sprache benennen und welche Bedeutung dabei der visuellen Inventarisierung zukommt. In der Folge verknüpft rgw ihre beiden elementaren Lebensbereiche, Kunst und Schule, das Lernen und die Beobachtung, wie Wahrnehmung funktioniert.

Der Kunstsalon als Laboratorium

Seit 2008 betreibt Ruth Gschwendtner-Wölfle im Buchholz auf der Letze oberhalb von Frastanz einen eigenen Kunstsalon, in dem sie die strukturbildenden Ideen des peace art hotels aufbereitet und experimentell weiterentwickelt. Insgesamt 38 mal hat sie seit Jänner 2009 aus einem weit über 300 Personen umfassenden Kreis von Leuten eingeladen, Kunstschaffende aus u.a. Musik, Komposition, Gesang, Malerei, Bildhauerei, Buchgestaltung, Fotographie, Literatur, Theater, Tanz, Philosophie, Goldschmiedekunst und andere mehr. Damit hat sie über viele Jahre hinweg ein dichtes, Kunstsparten sowie Länder und Konfessionen übergreifendes Netzwerk aufgebaut, in dem die Akteurinnen und Akteure die Möglichkeit wahrnehmen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Der Kunstsalon ist Arbeitsraum, Experimentierfeld, Treffpunkt, manchmal ist der Raum völlig leer, dann wieder vollbepackt mit Bildern, Ideen und Menschen.

 

Ruth Gschwendtner-Wölfle „peace art hotel 2“
bis 7. Mai 2017
Öffnungszeiten: 
Dienstag-Samstag 14-18 Uhr | Sonntag & Feiertag 11-17 | Montag geschlossen 
Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis, Bregenz, Gallusstraße 10