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Anita Grüneis · 20. Mai 2022 · Ausstellung

Kunstmuseum Liechtenstein: die Ausstellung „C(hoch)4“ kann sich sehen und hören lassen

Das Debut von Letizia Ragaglia ist sehenswert. In jeder Beziehung, denn die neue Direktorin des Kunstmuseum Liechtenstein hat Wort gehalten. Sie versprach beim Amtsantritt im Juli letzten Jahres ein „fließendes Museum, in dem die existierenden Bestände der staatlichen Sammlung immer wieder durch zeitgenössische Werke neue Impulse erhalten“. Genau das hat sie mit der ersten, von ihr konzipierten, Ausstellung „C(hoch)4“ realisiert.

In den vier oberen Räumen des Kunstmuseums laden in je einem Raum die Künstler:innen Nazgol Ansarinia, Mercedes Azpilicueta, Diamond Stingily und das Duo Invernomuto in ihre Gedankenwelten ein – immer verbunden mit einem Kunstwerk aus der Sammlung. Jeder Raum ist mit einem dichten Vorhang „versiegelt“, somit sind sie alle in sich geschlossen. Ein Spaziergang durch die Ausstellung wird zu einer Reise in eine Welt voller Geschichten, voller Erlebnisse, Träume und Hoffnungen. Manchmal märchenhaft anmutend, manchmal brüskierend, dann wieder einladend. Aber immer korrespondierend mit dem von den Künstler:innen selbst ausgesuchten Kunstwerken. Ob das ein barockes Stillleben oder ein Objekt ist. Sie alle werden aus ihren vergangenen Zeiten herausgelöst und in einen neuen Kontext gestellt.  

Vom Swimmingpool zum Teppich

So hat sich die Iranerin Nazgol Ansarinia in das Werk „Cellule no. 5“ des 1993 verstorbenen Künstler Absalon verliebt, das als eigenständiges Objekt neben ihrem Werk „The Inverted Pool“ steht. Schuf Absalon auf Körpergröße maßgeschneiderte Wohneinheiten, die ihren Bewohner „umhüllen“, so realisierte die Künstlerin, die aus der Architektur kommt und viel gereist ist, eine Erinnerung aus ihrer Kindheit. Damals waren in iranischen Innenhöfen viele Schwimmbecken zu finden. Zudem entdeckte sie während der Renovierung ihres neu gekauften Hauses auf dem Architekturplan einen auf den Kopf gestellten Swimmingpool. So baute sie nun im ersten Saal des Kunstmuseum einen Pool im Maßstab 1:2 zum gezeichneten, von dem die Besucher:innen der Ausstellung empfangen werden. Sein Innenleben wird über einen Spiegel an der Decke ersichtlich, man kann aber auch die Leiter hinaufklettern, nur nicht hineinsteigen.

Frauen und ihre Rechte

Im zweiten Ausstellungssaal hat sich die Argentinierin Mercedes Azpilicueta mit dem Werk der verstorbenen Österreichisch-Liechtensteinischen Künstlerin Anne Marie Jehle auseinandergesetzt. Die 1937 geborene Jehle hatte sich zu Lebzeiten intensiv mit Gender-Themen beschäftigt und dabei unter anderem alltägliche Gegenstände zu Kunstobjekten umgestaltet. Das Werk der in Amsterdam lebenden Mercedes Azpilicueta korrespondiert erstaunlich gut mit diesen Werken. Ob dies Küchenutensilien sind oder Möbel – die beiden Künstlerinnen verbindet die Lust an der Verwandlung und das Aufbegehren gegen angestammtes Rollenverhalten. Im Mittelpunkt des Raumes steht ein riesiger Wandteppich mit eingewebten Bildern, verschiedenen Kleidungsstücken und Arbeitsutensilien, in dem die Revolte von Frauen der Arbeiterklasse in Amsterdam thematisiert wird. „Potatoes, Riots and other Imaginaries“ nennt er sich und lädt zu einer langen Entdeckungsreise ein. Wiederentdeckt hat Mercedes Azpilicueta auch den Lendenschurz für Männer.

Rosa Träume und Erinnerungen

Der dritte Saal öffnet ein völlig neues Spektrum und im ersten Moment erinnert er mit den vielen Rosatönen und den großen Blumenarrangements an Mädchenträume – wären da nicht die Ketten an der Wand, in die Haarzöpfe gebunden sind. Ausgehend von Werner von Tamms barockem Stillleben mit Früchten und Blumen aus dem Jahr 1698, einem der ältesten Bilder der Kunstsammlung, und ihren eigenen Kindheitserinnerungen an den Friseursalon ihrer Mutter, entwickelte die Künstlerin Diamond Stingily aus Chicago den Raum in ein Gesamtkunstwerk mit Reliquien-Charakter. Sie gedachte damit ihrer Mutter und nannte ihre zentrale Installation „Dead daughter“: Auf einem rosa Teppich stehen mehrere Sockel mit üppigen künstlichen Blumenbouquets, auf dem Boden liegen dunkle Abdrücke ihrer Hände und Füße aus Wachs und Bronze. Eine Wand ist voller Zeitungscollagen, an einer anderen stehen ihre „Entryways“, abgenützte Eingangstüren mit angelehnten Baseballschlägern und mahnen an ihre Großmutter Estelle, die stets einen Schläger an der Eingangstüre stehen hatte, um sich gegen Einbrecher zu verteidigen. 

Legendäre Orte alles Fiktion?

Den vierten Raum haben die beiden Italiener Simone Bertuzzi und Simone Trabucchi gestaltet. Ihr Ausgangspunkt war ein Werk aus dem Jahr 1968 von Pino Pascalis „Ponte levatoio“, einer Zugbrücke, die aus der Wand zu kommen scheint. Es sind unfertige Monumente, die zu sehen sind, so wird „Zion, Paesaggio“, die Nachbildung einer Treppe, die für die italienische Armee während der Besatzung Äthiopiens eine wichtige Rolle spielte, zu einem Resultat der Beschäftigung des Duos mit Italiens Kolonialgeschichte. „Wax“ nannten sie eine weiße Wachsgrotte als Kopie der Grotte von Lourdes, wie sie auch in der Umgebung ihrer Heimatstadt zu finden ist und dort zum fixen Bestandteil der Volkskultur gehört. Auch damit hinterfragen sie die Rituale einer solchen Pilgerstätte. Das markante gelbe Wandfragment mahnt an die legendäre Diskothek Melody Mecca in Rimini der 1980er Jahre. Rimini gilt als Hauptstadt der „Afro-Musik“, wobei „Afro“ für die Idee einer globalen Musik steht. Der 1968 verstorbene Pascali war ein Visionär, der in seinen Werken Ironie, Spiel und Mythos verknüpft hat, um neue Geschichten zu erzählen. Genau das tun auch Simone Bertuzzi und Simone Trabucchi, die seit 2003 zusammenarbeiten und sich „Invernomuto“ nennen.
Die lebhafte, verspielte und doch nachdenklich stimmende Ausstellung, die für ein lebendiges Kunstmuseum steht, ist noch bis zum 4. September geöffnet. Jeden Mittwoch ist der Eintritt gratis.

Kunstmuseum Liechtenstein: „C(hoch)4“
Nazgol Ansarinia, Mercedes Azpilicueta, Diamond Stingily , Invernomuto
bis 4.9.22
Di /Mi/Fr/So 10 - 17, Do 10 - 20 Uhr
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz

www.kunstmuseum.li