Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Mirjam Steinbock · 04. Okt 2016 · Ausstellung

Insel der Möglichkeiten – Lindau erstmals im Boot bei der ORF-Lange Nacht der Museen

Die alljährlich stattfindende Kunst- und Kulturnacht in einem Zeitraum von nur fünf Stunden bestmöglich zu nutzen, das bedarf schon der umsichtigen Lektüre des Programmhefts für die Nacht des 1. Oktober. Oder man folgt einer Funkenzündung, die irgendwo entfacht wurde und spürt das Feuer auf. Mir erging es so, als ich bei der Vorstellung des Programms im ORF Landesstudio den Maler Johannes Felder hörte. Der Künstler, auch Co-Kurator der Ausstellung „Möglichkeiten einer Insel“ im Stadtmuseum Lindau, verlas als Vertreter den Einladungsbrief des Königreichs Malokko zu einem besonderen Abend und das klang so verrückt und gleichzeitig attraktiv, dass ich meinen ersten Zielpunkt setzte. Geplant hatte ich noch den Besuch anderer Veranstalter, wie z.B. die Schätze bei Kunst.Vorarlberg oder die Wexelstube Feldkirch mit dem jungen Bildhauer Victor Mangeng. Es sollte anders kommen.

Die  Bühne für den Malokkanischen Abend - bestehend aus einer Lesung des Theaterautors Wolfram Lotz, einer Podiumsdiskussion mit VertreterInnen der Kunst und dem Film „Die Pinke Entrückung“ - bot das Parktheater Lindau, ein Kino in einem denkmalgeschützten Gebäude aus dem Jahr 1954. Adeliger Gastgeber war Malokko, ein Inselstaat mit einem Herrscher, der die Künste liebt und deren Schöpfende gönnerhaft fördert. So auch den Maler Johannes Felder, der dem König DON Juan Campos auf verblüffende Weise ähnelt. Überhaupt scheinen Ähnlichkeiten und Verweise hoch im Kurs von Malokko zu stehen. Selbst der Page, der die Gäste des Parktheaters formvollendet begrüßte, jedem einen warmen Blick schenkte und schließlich mit einem roten Schirm zum Platz geleitete, glich seinem König in Statur und Mimik.

Klar, verständlich, authentisch

Inhaltlich kreiste der Abend um das Thema Insel und beschäftigte sich mit der Frage, wie KünstlerInnen mit Realität umgehen. „Die lächerliche Finsternis“, das preisgekrönte Theaterstück des deutschen Schriftstellers Wolfram Lotz fand hier seinen logischen Platz und es war ein Genuss, dem Autor bei der Lesung zuzuhören. Die Geschichte ist so traurig wie erheiternd und Lotz schafft es, seinen Figuren trotz ihres tragischen Hintergrunds eine Würde und Schönheit zu verleihen, die einem beim Zuhören sowohl offenes Lachen, leises Lächeln als auch schmerzhaftes Mitfühlen abringen. Eine Palette an Gefühlsintervallen, die sich hier elegant und ganz selbstverständlich miteinander verflochten. Der Text ist von einer solchen Dichte, dass man sich fragt, wie dieser noch relativ junge Literat es nur vermag, Sprache in einem solch hohen Tempo derart klar, verständlich und authentisch zu vermitteln.
In Vorarlberg bekam man unlängst eine eindrückliche Kostprobe aus dem Schaffenswerk von Wolfram Lotz. Das neu gegründete Ensemble für unpopuläre Freizeitgestaltung zeigte „Einige Nachrichten an das All“ und ermöglichte dem Vorarlberger Publikum mit dieser mutigen und bildreich ausgestatteten Inszenierung, in die Arbeit des deutschen Autors einzutauchen. Lotz selbst spricht in der anschließenden Podiumsdiskussion von einer Physik der Sprache: „Es muss etwas Anderes werden um das Gleiche zu bleiben. Der Text weiß immer mehr als man selbst. Schreiben ist für mich, etwas zu begreifen. Ich komme ohne das Schreiben nicht aus, weil ich sonst nichts begreifen würde.“
Der in Berlin lebende Maler Jürgen Durner stimmt Lotz darin vollkommen zu. Auch für ihn hat Kunstschaffen mit Wandlung und Transformation zu tun. Seinen Werken liegen Fotografien zugrunde, die er als Hilfsmaßnahme betrachtet. „Die Fotos haben nichts mehr mit dem Erlebnis zu tun aber sie stützen, es neu entstehen zu lassen. Dann wird es eine parallele Realität, die ihre Wirksamkeit entfalten kann und dann wird es politisch. Der Rezipient macht es politisch.“

Theorie und Praxis

Einen Einblick in die Bedeutung der Rezipienten und des Publikums „am besten Tausende“ gibt die Kunsthistorikerin Sophie-Marie Sümmermann, gebürtige Lindauerin und aktuell Ausstellungsmanagerin der Stiftung Museum Kunstpalast in Düsseldorf. Auch der Theorist der Malokkanischen Botschaft, Jan Alexander Hoeppel gibt einen Einblick in die Kunstproduktion, die mittels des Auftrags und der damit verbundenen notwendigen Mittel gute Wege finden kann. Dass Kunst auf Selbstverantwortung fußt, davon ist Jürgen Durner überzeugt. Wolfram Lotz geht einen Schritt weiter: Aufträge für ein bestimmtes Haus oder eine Bühne lehnt er schlicht ab. Die Vorstellung einer fixen Verortung würde ihn in seiner Freiheit berauben, so der Autor.

Mit Pomp und Lust

Welche Freiheiten die Kunst bieten und auch welche Veränderungsprozesse sie in Gang setzen kann, zeigt der Film „Die Pinke Entrückung“. Darin geht es um die Pilgerreise eines gescheiterten Hirten, der dem Ruf des malokkanischen Hofes zur Teilnahme an einer Prozession in Nürnberg folgt und im Unterwegssein mit seinen Dämonen konfrontiert wird. Am Ende seiner Reise wird er gewahr, sich im Datum geirrt zu haben. Er kehrt in seine Heimat zurück und ändert dort sein Leben. Vor allem in der Kunstform Tanz entdeckt er sich selbst und es gelingt ihm, sich von seinen Dämonen zu lösen.
„Die Pinke Entrückung“ – hier erstmals im Director´s Cut gezeigt – ist eine Verführung in die Welt der Möglichkeiten wie sie nur die Kunst aufzuzeigen vermag. Eine Huldigung an Pomp, Farben, Überfluss, Ver- oder Entrücktheiten und Lust an Ausdruck und Eigenliebe. Dafür steht der malokkanische König, DON Juan Campos und ihm gegenüber als von Selbstzweifeln geplagtes, in der Routine verhaftetes Pendant steht der Hirte Jean-Luic Lacampagne, der letztlich nur mit einer Ahnung von künstlerischen Möglichkeiten zu seiner eigenen Ausdrucksweise findet.

Die Notwendigkeit der Entscheidung

Was das Königreich Malokko und das kooperierende Kulturamt Lindau mit ihrer Einladung boten, könnte keine schönere Vision für eine Insel wie Lindau sein. Nicht nur hinsichtlich eines eindrücklichen Kunstverständnisses, sondern auch in Bezug auf die gute Gastgeberschaft. Als Königin und König der Kunstbetrachtung durfte man sich fühlen, Fragen stellen, in Kontakt treten und ins Gespräch kommen. Die Sprache auf dem Podium wurde ganz bewusst einfach und sehr verständlich gehalten.
Amüsant und gleichzeitig professionell führte Ausstellungs-Kurator Felix Rundel die Diskussion. Zu späterer Stunde im Stadtmuseum legte er dar, wie notwendig die Entscheidungsfreude für einen Kurator sei. Der Vorarlberger Künstler German Bolter sagte unlängst sinngemäß, dass Kuratoren die unbedingte Pflicht zukomme, die Kunst zu lieben. An diesem Abend in Lindau war Kunstliebe allgegenwärtig, ganz nah und begreifbar. Und so verführerisch, dass ich nicht mehr wegkam von der Insel, meine Pläne über Bord warf und mich entschied zu bleiben.

Ausstellung

Wo die Realität im Schaffensprozess durchbricht und wie KünstlerInnen gesellschaftliche Einflüsse, Krisen und Umbrüche in ihren Werken verarbeiten, um diese Fragen dreht sich die noch bis 23. Oktober dauernde Ausstellung „Möglichkeiten einer Insel“ im Stadtmuseum Lindau. Neben Bildern des Co-Kurators Johannes Felder sind ausgewählte Werke des Malers Jürgen Durner, der Videokünstlerin Lilli Kuschel, des Bildhauers Urban Hüter und des in Hohenems lebenden Fotografen Peter Mathis zu sehen.