Die Berliner Band „Milliarden“ beim Poolbar Festival (Foto: Darius Grimmel)
Karlheinz Pichler · 23. Dez 2019 · Ausstellung

In Schruns geht der Golem um - Gelitin, Alfredo Barsuglia und Co im Kunstforum Montafon

Stimmte man darüber ab, welche Kunstausstellung in diesem Jahr die „coolste“ im Ländle war (oder ist), dann könnte die Wahl gut und gern auf „Daily Golem“ im Kunstforum Montafon fallen. Denn hier führen aktuell die Provokationskünstlergruppe Gelitin sowie der frisch gebackene Otto-Mauer-Kunstpreisträger Alfredo Barsuglia und fünf seiner StudentInnen ihr gut orchestriertes „Skulpturentheater“ auf.

Die Vorgabe von Roland Haas, dem Leiter des Kunstforums Montafon, für die diesjährige Winterausstellung war wie schon in den Jahren zuvor, dass zwei Positionen aufeinandertreffen müssen, die bislang noch nie zusammengearbeitet haben. Den ersten Steilpass dafür spielte er Alfredo Barsuglia zu, der gerade erst kürzlich mit dem renommierten Otto-Mauer-Kunstpreis ausgezeichnet wurde und der derzeit auch im Bildraum Bodensee in Bregenz mit einer Personale zu sehen ist. Barsuglia wiederum lud die Gruppe Gelitin zu einem interaktiven künstlerischen Stelldichein ins Kunstforum an der Litz. Dabei ist es keine einfache Sache, diese Gruppe, die von New York bis Tokyo ausstellt, in ein abgelegenes Alpental zu locken. Aber Gelitin sagten zu. Zum einen aus Wertschätzung von Barsuglia, zum anderen unter der Voraussetzung, dass es die Möglichkeit zum Schifahen gibt. Denn Ali Janka (geb. 1970), Florian Reither (geb. 1960), Tobias Urban (geb. 1971) sowie Wolfgang Gantner (geb. 1968), die das Team von Gelitin ausmachen, sind begeisterte Anhänger dieses Wintersports. Und dies wiederum war für Kurator Roland Haas, der im Nebenberuf ja auch als Schilehrer tätig ist, das geringste Problem. Schnell hatte er einen Satz Tageskarten für das Hochjoch organisiert.        

Aus Lehm erstanden

Und Gelitin brachten in der Folge elf Arbeiten ihrer aus 40 Skulpturen bestehenden Werkserie „New York Golems“ mit nach Schruns, die sie 2017 in Manhattan ausgestellt hatten. Das Besondere an dieser Serie ist, dass sie den Ton dieser Serie von Keramikfiguren mit ihren Ärschen und Genitalien geformt hatten. Die Kunstkritikerin Caroline Goldstein übertitelte ihren Kommentar zu dieser Ausstellung in New York auf Artnet.com damals: „The Austrian Collective Gelitin Has Discovered an New Way of Making Art Having Sex With Clay“. Die Mitglieder von Gelitin, die für ihren eigenwilligen Humor bekannt sind, haben sozusagen Tonklumpen „gefickt“. Dazu nochmals Goldstein sinngemäß übersetzt: „Jede Spalte, jedes Loch und jede Naht ist ein Eindruck des weichen, porösen Körpers seines Schöpfers.“   
Das Ausgangsmaterial für die „Golems“, nämlich Lehm beziehungsweise Ton, ist durchaus typisch für Gelitin. Schon bei ihrem Auftritt im Kunsthaus Bregenz im Jahre 2006 brachten sie neben Schwulenpornos und Sperrmüll auch tonnenweise Schlamm in die geheiligten Hallen des Zumthor-Baues. Dazu passt die Figur des Golems materialspezifisch bestens. Denn diese mythologische Erscheinung geht auf die jüdische Literatur des frühen Mittelalters zurück. Dabei handelt es sich gemäß Wikipedia um ein von Weisen mittels Buchstabenmystik aus Lehm gebildetes, stummes, menschenähnliches Wesen, das oft gewaltige Größe und Kraft besitzt und Aufträge ausführen kann. Wortetymologisch handelt es sich bei „Golem“ um das hebräische Wort für „formlose Masse“ oder „ungeschlachter Mensch“. Im Neuhebräischen wird „Golem“ auch als Schimpfwort in der Bedeutung von „dumm“ oder „hilflos“ verwendet.      
Gelitin, die für ihre spielerischen Mätzchen und Absurditäten bekannt sind, legen den Begriff des Golems auf unverkennbare Art gelierend aus. Eine zentrale Rolle kommt bei diesen mit Hintern und Schwänzen formal gestalteten gebrannten und lasierten Tonklumpen auch den Sockeln zu. Diese sind nämlich aus unterschiedlichsten Materialien geformt und lassen Sockel und „Golem“ wie aus einem Guss erscheinen. Der Sockel soll die Keramik anmutig anheben, um ihr Platz zur Entfaltung zu bieten, heißt es dazu auf der Webseite von Gelitin.       

25 Kilogramm Zucker       

Betritt man jetzt das Kunstforum Montafon, so spürt man immer noch einen süßlichen Duft, der von einer Zuckerwattenskulptur herrührt, die Alfredo Barsuglia in Reaktion auf die Golems zusammen mit fünf seiner Studierenden des Fachs Transarts an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien geschaffen hat. Rund 25 Kilogramm Zucker haben Barsuglia und namentlich Jakob Kirchweger, Sebastian Lehner, Alisa Omelyantseva, Luka Savic und Kai Trausenegger verarbeitet, um einen aus Zuckerwatte bestehenden Kubus von fast einem Meter Höhe zu schaffen, der auf einem Gittergestell mitten im Raum präsentiert wird. Bedingt durch die Luftfeuchtigkeit ist das Gebilde mittlerweile auf einen Bruchteil seiner ursprünglichen Größe zusammengeschrumpft. Während also Gelitin aus Ton diese Golem-Wesen erschaffen haben, bildet sich die Zuckerwattenskulptur zu ihrem Ursprung, nämlich Zucker, zurück. Ein Umkehrprozess, wie er auch bei dem ebenfalls zu sehenden Video von Alfredo Barsuglia erkennbar ist, welches zeigt, wie eine zu einem Eisblock gefrorene Säule aus Tee sukzessive zu einer unförmigen Masse schmilzt.
Bei der Vernissage waren übrigens sämtliche KünstlerInnen anwesend. Und da war einiges los. Unter anderem ließ das „Viererkleeblatt“ des Gelitin-Kollektivs wieder einmal sprichwörtlich die Hosen runter.

Alfredo Barsuglia, Gelitin: Daily Golem
bis 26.1.
Di-Fr, So 16-18 Uhr
26.1., 20 Uhr: „Songs and Stories“ (Konzert mit
Jasmin Hoffer u. Oleg Soulimenko)
Kunstforum Montafon, Schruns
www.kfm.at