Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Karlheinz Pichler · 19. Apr 2014 · Ausstellung

Im Rausch der Farbe und gestischen Turbulenz – Das Kunsthaus Zürich zeigt die großen deutschen und französischen Expressionisten

Der Expressionismus wird fälschlicherweise immer wieder als eigenständige Erfindung der Deutschen rezipiert. Mit dieser Auffassung ein für allemal aufräumen will die aktuelle Ausstellung „Von Matisse zum Blauen Reiter. Expressionismus in Deutschland und Frankreich“, die derzeit im Kunsthaus Zürich zu sehen ist. Rund 100 Meisterwerke von 37 KünstlerInnen wie Gauguin, Matisse, Van Gogh, Heckel, Kirchner, Marc oder Kandinskiy sind eine sichere Bank für eine sprichwörtliche Blockbuster-Ausstellung.

Timothy O. Benson (Los Angeles) und Cathérine Hug (Zürich), die die Ausstellung kuratieren, spüren mit der Schau „Von Matisse zum Blauen Reiter“ also den Verflechtungen der französischen und der deutschen Kunst am Anfang des vergangenen Jahrhunderts nach. Einer der großen Impulsgeber für den Expressionismus war Van Gogh, der die „moderne Kunst wie ein Blitzschlag“ traf, wie ein deutscher Beobachter über den Einfluss des Malers auf die deutschen Künstler zu einer Zeit schrieb, als diese bereits Seurat, Signac und die Postimpressionisten rezipierten. Es folgten Cézanne, Gauguin und Matisse. Matisse leistete mit seinen „Notizen eines Malers“ so etwas wie kunsthistorische Geburtshilfe. „Was ich vor allem suche, ist der Ausdruck (frz. expression).“ Als seine „Roten Teppiche“ bei Paul Cassirer in Berlin ausgestellt waren, gerieten die angereisten deutschen „Brücke“-Künstler derart in Verzückung, dass sie den französischen Meister beknieten, ihnen beizutreten. Dieser verzichtete freilich, hinterließ bei den Deutschen aber nachhaltigen Eindruck. Vor allem seine Art, wie er einen Raum flächig erscheinen ließ und die Musterung eines Stoffes nonchalant zum Protagonisten eines Bildes erklärte.

Farbexplosionen


Auf die Werke der französischen Postimpressionisten und der „Fauves“ reagierten die Künstler der „Brücke“ und des „Blauen Reiters“ mit wahren Farbexplosionen. Die Kuratoren haben die  präsentierten Gemälde, Grafiken und Dokumente nach Gruppen und Schauplätzen geordnet, fensterartige Durchbrüche in den Trennwänden erwecken den Eindruck der Transparenz und lassen Blicke in angrenzende Räume zu. Die in Blau und sanftem Gelb gehaltenen Zwischenwände des großen Bührle-Saals strahlen einen ruhigen Grundton aus, der die Farbexplosionen und gestischen Turbulenzen der expressionistischen Gemälde erst recht zur Geltung kommen lässt.

Es ist dem Kunsthaus Zürich gelungen, Gemälde und Grafiken zusammenzutragen, die zur damaligen Zeit in wegweisenden Ausstellungen und Sammlungen vertreten oder von deutschen Künstlern in Paris eingehend studiert worden waren. Diesen Werken werden „Pendants“ gegenübergestellt. In ihnen ist die Wirkung der „Vorbilder“ deutlich spürbar. Dass die Deutschen nach Frankreich schauten, tut ihrer Leistung aber keinen Abbruch.

Nicht mehr die Umwelt wie beim Impressionismus und Divisionismus, sondern die inneren Empfindungen und Befindlichkeiten des Künstlers finden ihren formalen Ausdruck und ihre kraftvolle, energiegeladene Sprache in der Kunst. Im eher groben Duktus widerspiegeln sich die Ängste, aber auch die Hoffnungen einer äußerst produktiven und bewegten Zeit vor dem ersten Weltkrieg.

Seherlebnis steht über der Debatte


Die akademische Debatte darüber, inwieweit die französischen Künstler den Deutschen Expressionismus denn nun tatsächlich vorplaniert haben sollen, wird für die meisten der Ausstellungsbesucher nicht relevant sein. Benson und Hug räumen ohnehin ein, dass es ein Fehler und dem Sachverhalt nicht gerecht wäre, von einer „rein unilinearen künstlerischen Einflussnahme zu sprechen, die allein von Frankreich Richtung Deutschland ging“. Das ungebrochene Seherlebnis im Bührle-Saal, von Kees van Dongens prächtiger, in zinnoberrot und safrangelb gehaltener Sängerin „Modjesko, chanteur soprano“ (1908), mit der die Ausstellung eröffnet wird, bis hin zu Ernst Ludwig Kirchners Bild „Straße, Berlin“ (1913), mit der sie endet, lässt die ganze Debatte verblassen.

Die Ausstellung ist im Übrigen eine Kooperation mit dem Los Angeles County Museum of Art (LACMA) und dem Musée des beaux-arts de Montréal. Der Katalog zur Ausstellung ist maßgeblich von Timothy O. Benson, dem am Robert Gore Rifkind Center für Studien auf dem Gebiet des deutschen Expressionismus tätigen Kurator, verantwortet. Seine jüngsten Forschungsergebnisse stehen neben Essays von Laird M. Easton, Claudine Grammont, Frauke Josenhans, Katherine Kuenzli, Peter Kropmanns, Magdalena M. Moeller, Sherwin Simmons und einem Gespräch von Cathérine Hug mit Georg Baselitz und Robert Menasse.

Von Matisse zum Blauen Reiter
Expressionismus in Deutschland und Frankreich
Kunsthaus Zürich
Bis 11.5.
Di, Fr, Sa, So 10–18, Mi,Do 10–20
www.kunsthaus.ch