Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Peter Niedermair · 01. Jul 2022 · Ausstellung

Gerd Menia: „verwoben“ – Ausstellung in Schwarzach

Im Foyer der IMA Schelling Austria in der Gebhard-Schwärzler-Str. 34 in Schwarzach stellt Gerd Menia neue Großformate und kleinere Akte aus. Der 1961 in Hard geborene Künstler lebt in Hard und arbeitet in einem großen, geräumigen, nordwestbelichteten Atelier, das er auch als Ausstellungsraum nutzt. Hier entstand die Serie „verwoben“, die er in einen kultur- und kunsthistorischen Kontext stellt: „Mono no Aware“ – eine „japanische Redewendung für das Bewusstsein der Vergänglichkeit oder auch für die Seele der Dinge“.

Zentrale Ausgangserfahrung ist – wie oft bei Menia – eine zufällige Entdeckung. Ein Grashalm, dem er begegnet, ich würde fast sagen, der ihm begegnet. Das allein wäre schon eine philosophische Frage … In der Serie „verwoben“ geht es um Pflanzen, Gräser, Wasser, Untergrund, die alle in ihren Bewegungsabläufen miteinander korrespondieren, die – bei längerer Betrachtung der Bilder – wie schwebend erscheinen, als tanzten die Gräser und Algen auf den changierenden Wasseruntergründen. Für ihn, den Künstler, ist die Natur „beseelt“, d.h. es gibt ein in den Kosmos eingebettetes Leben, das systemisch vernetzt und verwoben ist, eine Textur von Naturphänomenen, mit Anklängen an psychedelische Ereignisse, kleine und größere Wunder, die uns an einen Platz verweisen, von dem aus wir zurückgelehnt, gelassen und neugierig staunend stehen. Der Künstler kontextualisiert deshalb auch den Menschen an sich mit den Phänomenen der Natur. Jedoch nicht im Sinne, wie Hermann Hesse das in seinem Gedicht „Im Nebel“ literarisch naturromantisierend macht: „Seltsam, im Nebel zu wandern! / Einsam ist jeder Busch und Stein, / Kein Baum sieht den andern, / Jeder ist allein. // Voll von Freunden war mir die Welt, / Als noch mein Leben licht war; / Nun, da der Nebel fällt, / Ist keiner mehr sichtbar.“

Ikonographie vernetzter Bilderwelten

Gerd Menia ist überzeugt, dass mit dem Blick ins Unbewusste das Verdrängte, Unsichtbare und Verzögerte zutage tritt. Somit überziehen sich seine „Naturereignisse“ mit einem meditativen Charakter, der sich an den Gräsern verortet, sich über die Natur legt. Es sind wie durch ein Brennglas hervorgehobene Einblicke in einen Mikrokosmos, in dem „das Imaginäre“, wie Daniela Egger in einem Begleittext zur Ausstellung schreibt, „eintaucht in das Dickicht einer simplen Wiese, wie wir sie vor unseren Haustüren finden. Ihre Verdichtung, ihr Verwobensein und ihr pulsierendes Leben werden sichtbar, weil mit feinen Tuschzeichnungen freigelegt wird, was die Grenzen ausmacht, wo das feine Dazwischen liegt.“ Gerd Menia legt seine Kunst als Ikonographie vernetzter Bilderwelten an. Damit verknüpft er seine Suchbewegungen mit einer Position von Gertrud Stein. Sie war die Mutter der Verlorenen Generation, The Lost Generation der amerikanischen Schriftsteller, die in den 1920er Jahren in Paris lebten. „Was Du in der Kunst tust, tu es mit Anmut!“ Der Künstler knüpft damit auch an eine andere seiner Serien an, „Magic Plants“, die er uns schon 2017 im Studio Drehpunkt in Bregenz gezeigt hatte. Die Ikonen. Damit ist auch die vernetzte Verwobenheit seines künstlerischen Tuns bezeichnet.

Schule des Sehens

Mit den Pflanzenbildern, einer Idee, die ihn mittlerweile bereits seit drei Jahren begleitet, bezieht er sich in einer weiteren Vertiefung und konzentriert sich auf einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Das ist in gewissem Sinne dann auch angelegt als Anlehnung an den Naturalismus, den er mit der inneren psychedelischen Welt, dem Mikrokosmos verknüpft. Neben den großformatigen, tableau-artigen Bildern 100 x 150 cm, zeigt er in einem Seitengang des Foyers bei Schelling in Schwarzach kleinformatige Akte und Zeichnungen auf schwarzem Beton. Diese Akte passen ideal in den etwas am Rande gelegenen Gang, dort, wo sie entsprechend auch dem grellen Licht etwas entkommen, wo sie eine Luft atmen können, die das kräftig Zarte und Pastose in einem repräsentieren. Dort lädt der Künstler in die Schule des Sehens ein, dort, wo die äußere Natur eine Transformation in die innere Natur vollzieht. Dort öffnen sich Räume, analog zu den Naturbildern, die sich gleichfalls den Fantasien des Traumes wie in einem lebensrhythmischen Bogen zueinander neigen, Inklinationen, kleine und verschlüsselte Artikulationen, die sich außen und im Innen spiegeln. Damit bezieht sich der Künstler auch auf die historischen Erfahrungen des Surrealismus, die dem Traum noch eine intensivere Bedeutung beigemessen hatten, als dies die Traumdeutung, u.a. von Sigmund Freud, machte.

„Mono no aware“

steht für die Beseeltheit der Kunstobjekte; es bezeichnet auch das verwoben Sichtbare, das wie die Traumfetzen und Netze der Blauen Stunde agiert. Hier finden wir auch die Verknüpfungen zur Welt der Psyche, zum Reich des Buddhismus. Hier wir die hochkonzentrierte Arbeit des Künstlers auf eine Weise geöffnet, als gewährte Gerd Menia Einblicke in eine Vertrautheit, die uns zu Komplizen seiner Kunst macht. Die mit Pinselstift bzw. Tuschpinsel gemalten und gezeichneten Linien und Formen, meist monochrom, sind im Grund genommen Übersetzungen, als führe ein kleines Boot von einem Anlegeplatz zum nächsten auf der anderen Seite des Gewässers. Der Künstler grundiert seine Leinwände ein wenig, das Nachtblau vermittelt damit einen weicheren Eindruck. Im Zentrum steht der Prozess des Zeichnens. In diese Zeichnungen „verwoben“ artikulieren sich Texturen, die auf diese Verwobenheit, auf die Komplexität verweisen. In den Naturweltenbildern eröffnen sich bei geduldigem Betrachten Unterwasserwelten, die an den wogenden Oberflächen changierend schwebende Bewegungen suggerieren. Somit ist das Zeichnen des Künstlers ein Vermitteln in seiner Zeichensprache, in der er nicht abbildet, sondern der Körperlichkeit nachspürt, ganz im Sinne von „alles wird wieder kommen“ in einer nicht messbaren Zeitlosigkeit, genauso wie sich in den Akten des Künstlers eine Form von zeitlicher Absenz spiegelt, die eine gewisse Entrücktheit und damit Intimität andeuten.

Die Akte

In diesen Akten wird der Beziehungsprozess zwischen dem Künstler und dem Aktmodell spürbar, es bleibt eine Form des Blicks, mit dem das Modell nicht den Betrachter/die Betrachterin anschaut, sondern in seiner Welt bleibt. Das sind jene feinen Unterschiede, die uns auffallen, wenn wir einmal die Aktfotos des US-amerikanischen Fotographen Friedlander gesehen haben. Gerd Menias Ästhetik der Akte liegen in der Distanz, die sichtbar und spürbar bleibt. Eine Distanz, die die Integrität des Modells beachtet und würdigt.
Gerd Menia zeigt uns bei Schelling in Schwarzach eine großartige Ausstellung. Ich wünsche ihm neugierige Besucher:innen, die ein Jahr lang Gelegenheit haben werden, sich die Bilder in Ruhe anzuschauen.

Gerd Menia: „verwoben“
30.Juni.22 bis Juni 23
geöffnet zu den Geschäftszeiten, Eintritt frei!
IMA SCHELLING, Schwarzach

www.gerdmenia.com