Christian Petzolds federleichter Beziehungsfilm "Roter Himmel" derzeit in den Kinos (Foto: Piffl Medien)
Peter Niedermair · 23. Jun 2022 · Ausstellung

Das Austausch-Projekt: Eine Videoarbeit und die Couch im blauen Koffer - Ausstellung im Kunstraum DWDS in Bregenz

Im Projekt Künstler:innen-Austausch umfasst das Stipendienangebot des Landes Vorarlberg auch eine Kooperation mit der Organisation Hangar.org in Barcelona. Selina Reiterer und Janine Maria Schneider verbringen im laufenden Jahr zwei Monate in Barcelona, während zwei Kunstschaffende aus Barcelona Maria Alcaide und Ely Daou zwei Monate nach Bregenz gekommen sind. Am gestrigen Mittwoch, 22. Juni wurde ihre Ausstellung „Was wäre, wenn“ im Kunstraum DWDS in Bregenz von Kirsten Helfrich eröffnet. Sie ist bis einschließlich Sonntag, 26. Juni täglich von 17.00 bis 19.30 Uhr zu sehen. Maria Alcaide und Ely Daou sind während der Öffnungszeiten anwesend und für Gespräche bereit.

In der Landeskorrespondenz äußert sich Kulturreferentin und Landesstatthalterin Barbara Schöbi Fink die Bedeutung dieser Internationalisierung von Vorarlberger Kunst und die Vernetzung über Austauschprojekte und Stipendien: „Der Austausch mit der spanischen Organisation Hangar.org in Barcelona ist unser jüngstes Stipendium und wird von den Kunstschaffenden beider Länder bereits sehr gerne angenommen.“ Beide Künstler kamen über einen ‚open call‘ nach Bregenz. Der Aufenthalt war für beide eine willkommene Abwechslung, sie hatten viel Zeit sich ihrer Kunst zu widmen, beide sind wenig gereist, ein bisschen ins ‚Babylon des Kapitalismus‘, Zürich, nach Basel, wo sie die bedeutenden Ausstellungen in der Beyeler Foundation sahen und die Louis Bourgeois im Kunsthaus Basel, die Jenny Holzer kuratiert hatte. Sie waren mit ihren Ateliers zufrieden, Ely Daou war oben in den Garagenräumlichkeiten beim Thurn und Taxis, während Maria Alcaide in der Kirchstraße bei einer Schneiderin untergebracht war. Kontakte sagen beide, gab es eher wenige, was gegenüber dem hektischen Alltagsleben in Barcelona einen großen Unterschied bedeutete. So kamen beide gut zum Arbeiten. In Zukunft wäre es wünschenswert, wenn es zu mehr Begegnungen mit Künstler:innen aus der Gegend hier käme.  

Schönheit als Thema

In der Vorarlberger Landeskorrespondenz schreibt Ariane Grabher: „Eine experimentelle Reise und einen ‚Spaziergang auf dem Weg der Schönheit‘ unternimmt Maria Alcaide (geboren 1992 in Huelva/Spanien) in ihrer Videoarbeit ‚I link therefore I am. Un paseo por el palo de la belleza‘. Darin verarbeitet die Künstlerin, die ihren Abschluss in Kunst an der Universität von Sevilla gemacht und in Paris und Barcelona studiert hat und bereits auf zahlreiche internationale Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen sowie Auszeichnungen verweisen kann, mit unterschiedlichen Texten und Bildern. Poetischer Ausgangspunkt ist das Gedicht ‚Kleiner Wiener Walzer‘ des spanischen Lyrikers Federico Garcia Lorca. Maria Alcaide bringt die Verse in Verbindung mit in Bregenz aufgenommenem Videomaterial und geht der Frage nach, wie heute über Schönheit gesprochen werden kann. In ihrer Videoinstallation breiten sich Wachsblumen, Spiegel und handgeschriebene Typografien im auch von außen gut einsehbaren DWDS-Raum aus.“ In ihren Videoarbeiten, die zum Teil in der Ausstellung zu sehen sind, verarbeitet sie politische Bildbotschaften aus dem Alltag und stellt diese ausgewählten Farbmotiven gegenüber, die sie symbolisch korrespondierend verstanden wissen will. In zwei der großen nordseitig gelegenen Glasfenster hat sie mit Klebstoff ein Gedicht geschrieben, „The Fish“, das in einem wunderbar poetischen sprachlichen Duktus auftaucht, in dem die Phonetik der Wörter leicht beschwingt wie ein schaukelndes Schiff auf dem Bodensee erscheint. Neben dem Klebstoff zählt auch Wachs und Gelatine zu ihren Arbeitsmaterialien; damit ist ein deutlicher Verweis auf die Fragilität dieses „poem’s in many parts“ augenscheinlich.

Biografie: Maria Alcaide hat einen Abschluss in Kunst an der Universität von Sevilla, einen Bachelor in Kunst an der Universität Paris VIII und einen Forschungs-Master in Kunst und Design an der Eina-UAB School in Barcelona. Ihre Forschungsarbeiten wurden in akademischen Kontexten wie der École des Hautes Études en Sciences Sociales (Paris), der Universität der Künste (Berlin), der Universidad Complutense de Madrid oder der Stiftung Tàpies (Barcelona) vorgestellt.

International hat sie ihre Arbeiten in Helsinki (Muu Kaapeli), Berlin (ACUD) oder San Francisco (EAS, Reed College) gezeigt. Sie wurde für Jeune Création und Salon de Montrouge 64 (Paris) ausgewählt und war unter anderem als Artist in Residence in Berlin (Agora Collective), Leipzig (LeFugitif) oder in der Westsahara (Artifariti). Alcaide hat auch an verschiedenen Gruppenausstellungen teilgenommen, etwa im Complutense Art Center, CAAC, Can Felipa, LOOP Barcelona, in der Galerie Fran Reus oder bei der BlueProject Foundation. In jüngster Zeit erhielt sie die Preise Fundació LaCaixa und Generación 2021 (La Casa Encendida) sowie verschiedene Stipendien des spanischen Kulturministeriums (INJUVE, Spanish College in Paris) und wurde als Artist in Residence bei Fabra i Coats-Sant Andreu Contemporani, La escocesa, dem Andalusischen Zentrum für zeitgenössisches Schaffen, Bar Projects oder Bilbaoarte ausgewählt. Ihre jüngsten Einzelprojekte wurden in der Galerie Àngels Barcelona und in La Capella, Barcelona, ausgestellt.

Seinen Koffer schon so gut wie gepackt

hat Ely Daou. Dafür hat der 1986 in Beirut/Libanon geborene, in Barcelona und Berlin lebende Künstler, auch intensiv gearbeitet. In Bregenz entstand die Arbeit „Un-Couch“, die ein typisches Beispiel seines künstlerischen Arbeitens ist.  Dieses Projekt umfasst Aktionen des/seines Körpers und Dauer-Performances, wurde bereits mehrfach international gezeigt und aufgeführt. Ely Daou geht den sehr politisch-künstlerischen Fragen nach, die er in Form auch eines sozialpolitischen Protests artikuliert; er thematisiert mit Bezug auf historische Literatur, soziale Un-Gerechtigkeit. Daneben fokussiert er auch geschichtswissenschaftlich gut aufbereitete Forschungsfragen und kombiniert sie mit Fragen von Erinnerung, Identität und Zeit.
„Nachdem ihm in seiner ersten Woche in Vorarlberg gesagt wurde, dass Ausländer und Einwanderer hier akzeptiert würden, sofern sie hart arbeiten, hat er sich täglich fleißig, 8 bis 14 Stunden, an die Arbeit gemacht. Sein Ziel: Eine gefundene, zweisitzige blaue Couch sorgfältig zu zerlegen und die verschiedenen Materialien in kleine Stücke zu zerschneiden, damit sie schließlich in seinen blauen Koffer (65x40x30 cm) passt und mit dem Künstler zurück nach Barcelona reisen kann“, lesen wir in einem Begleittext zur Ausstellung aus der Landeskultur Korrespondenz.  
Ein universelles Grundeinkommen erhöht die Gleichheit und beseitigt die Armut; es würde eine Schlüsselrolle bei der Umverteilung des Reichtums spielen, um soziale Gerechtigkeit zu erreichen! Dieser virtuelle Protest ist eine fortlaufende Serie von täglichen Live-Übertragungen, in denen ich für die Dauer von einstündigen Slots nichts tue.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Unterkunft (inkl. Wasser, Strom, Gas) / Nahrung / Gesundheitsversorgung / Bildung ein grundlegendes Menschenrecht sind und jedem lebenden Menschen zur Verfügung gestellt werden sollten. UNBEDINGTES UNIVERSELLES GRUNDEINKOMMEN ist eine Antwort. Es ist ein Recht!

Biografie: Ely Daou’s Werk befasst sich mit der Hinterfragung und dem Protest gegen viele menschliche Konflikte in der Welt und die menschliche Natur, einschließlich seiner eigenen. Er führt Dauer-Performances durch und kultiviert durch wiederholte Bewegungen oder Arbeit eine Aufmerksamkeit für den Körper sowie für Mikroverschiebungen in der Umgebung. Diese Aktionen verweisen auf die Zeit - das Messen der Zeit, die Erfahrung der Zeit und sogar ihre Auflösung in einen Rhythmus durch Wiederholung.

Obwohl er sich mit seinem Körper und seinen Routinen starre Regeln und Strukturen auferlegt, ist das Ergebnis oft ausdrucksstark, wenn auch manchmal bewusst absurd. Diese Aktionen des Körpers erweitern und spielen auf einen größeren Diskurs über Erinnerung/Identität, Arbeit und soziale Gerechtigkeit an. Ely arbeitet im Bereich der politischen, sozialen und persönlichen Kunst auf eine Weise, die dem Betrachter Raum zum Nachdenken gibt. Seine Arbeit ist nicht deklarativ, richtig oder falsch, er legt einfach eine Situation zur Betrachtung und Provokation dar.
Seit er 2012 nach Europa gezogen ist, wurden seine Arbeiten an verschiedenen Orten ausgestellt und aufgeführt, z. B. im Kikker-Theater (Niederlande), im Kanal-Centre Pompidou (Brüssel), im Museum Sant Boi (Spanien), in Incendida (Madrid), auf der internationalen Kunstmesse SWAB (2015) in Barcelona, auf der Centrale Fies-Dro (Italien), in der Kunststiftung Baden-Württemberg (Stuttgart), auf dem Buffer Fringe Performance Festival (Nikosia, Zypern), in La Raffinerie (Brüssel), in Fabra I Coats (Barcelona).

Am Beispiel dieses Austauschprojekts wird deutlich bewiesen, wie wichtig solche Projekte für hier lebenden Künstler:innen ist und wie wichtig auch der Besuch und Aufenthalt von Künst:lerinnen aus Catalonien und Spanien sind. Kunst ist ein globales Projekt von komplex wechselseitigen Impulsen. Ich wünsche den beiden Künstler:innen, deren Arbeiten noch bis Sonntag in Bregenz zu sehen, neugierige Besucher:innen, um u.a. zu erleben, dass Kunst globale, internationale und kosmopolitsche Themen und gesellschaftliche Fragen artikuliert. Hier, wie ich meine, mit großem Erfolg.

Ausstellung „Was wäre, wenn“, Maria Alcaide und Ely Daou
DWDS, Jahnstraße 13-15, Bregenz
Eröffnung: 22.6.
Öffnungszeiten: 23. bis 26.6., täglich von 17-19 Uhr                                                     

Websites der Künstler:innen:
www.mariaalcaide.com
www.elydaou.com