Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Karlheinz Pichler · 20. Apr 2017 · Ausstellung

Bildgewordene Poesie im Raum – Christoph Luger im Kunstraum Vaduz

Im Vaduzer Kunstraum Engländerbau gibt es unter dem Titel „Wandmalerei zwischen Fresko und Bild“ derzeit XXXL-formatige Malerein des Vorarlberger Künstlers Christoph Luger zu bestaunen.

Die Werke, die Christoph Luger in Vaduz zeigt, stammen teils aus den 1980er und 1990er Jahren. Sie sind von so großem Format, dass er sie praktisch nie zeigen konnte. Der riesige White Cube des Engländerbaus ermöglichte es ihm nun, diese imposanten Malerein aus dem Lager zu holen und öffentlich zu präsentieren. Und es ist frappant zu sehen, wie der in Wien lebende und arbeitende Künstler mit seinen Großformaten auch schwierigste Räume beherrscht. Kaum einmal etwa waren Werk und Raum im Kunstraum Engländerbau in Vaduz derart gut aufeinander abgestimmt, wie bei seiner aktuellen Ausstellung. Was vielen Kunstschaffenden überhaupt nicht gelang, nämlich dem Kunstraum Vaduz seine extreme Größe zu nehmen, schafft Luger mit ein paar wenigen großen Arbeiten. Mit zwei monumentalen Werken, die wie riesige Farbvorhänge von der Decke hängen und die dem Betrachter den Blick auch auf die Durchlässigkeit und die Verletzungen der Papierbahnen von der Rückseite her ermöglichen, halbiert er gleichsam den Raum. Mit wenigen, aber effizienten Mitteln gelingt es ihm, die überaus groß dimensionierte weiße Halle „gefügig“ zu machen. Wie sanfte Farbbahnen, die den Umraum einbeziehen, verhalten sich die lyrischen Arbeiten. Luger macht sich den Kunstraum sozusagen dienstbar. Statt auf die Werke zu drücken, verhält sich der weiße Kubus wie ein fein abgestimmtes Gesamtpasspartout.

 

Unter der Künstlerschaft gibt es nur wenige, die ihr Werk derart diszipliniert und strategisch vorantreiben, wie Christoph Luger, und es gibt kaum einen Künstler, dessen Werk trotz klar definierter Prozessabläufe derart frei und von Sinnlichkeit getragen scheint, wie das seinige. Luger ist nicht nur ein konzeptuell denkender Künstler, sondern er ist auch in der Lage, sich gegenüber dem Material, sprich gegenüber Papier und Farbe, auf unverwechselbare Weise sinnlich zu verhalten. Es ist eine Sinnlichkeit, die zum einen vom Material und der formalen Führung, aber auch von der gestischen Impulsivität und dem Rhythmus der Zeit mitbestimmt wird.

 

Im Wochenrhythmus

 

Mit fast mönchisch auferlegter Strenge vollendet Luger Woche für Woche eine Arbeit. Als Bildträger verwendet er hochwertige Papierbahnen, die er übereinander und an die Wand klebt und tackt und am Wochenende wie eine Haut wieder von der Wand ablöst. Die Farben stellt er selber her. In den Behältnissen mit Pigmenten und verschiedensten Substanzen oder den Kübeln mit Knochenleim, Ei-Emulsionen und anderem gärt und riecht es wie im Labor eines Alchemisten. Die feine Nase des mörderischen Protagonisten in Patrick Süsskinds „Parfüm“ hätte hier seine liebe Not gehabt.

 

Mit Hilfe der Bahnen und der Farbe erzeugt Luger Farbfeldstrukturen. Die einzelnen Felder werden teils mit gestischen Ausholungen farblich gefüllt, immer wieder unterbrochen und ergänzt durch geometrische und zeichenhafte Einschreibungen. Die Verletzungen des Papiers, die Fremdmaterialien, die eingearbeitet sein können, ob dies nun ein Bierdeckel oder etwas anderes sein mag, erinnern an Techniken wie die Collage und Decollage.

 

Nah am Papier

Der Künstler, der auf einer Leiter ganz nah am Papier arbeitet, bezeichnet seine Werke gerne als Porträts oder Landschaften, auch wenn sie mehr oder weniger abstrakt daherkommen. Der pastellene Charakter und das Zeichenhafte verleihen diesen papiergeschichteten „Farblandschaften“ einen ungemein poetisch-lyrischen Impetus. Sie wirken nie illustrierend, sondern als Empfindungsträger subjektiver Verwirklichung. Sind Neues schaffend genauso wie Spurensuche, utopische Archäologie genauso wie Kommunikationsnetzwerk an der Schnittstelle von Raum, Werk, Künstler und Betrachter.

 

Bei Luger hat das Papier nicht die Funktion eines neutralen, statischen Trägermediums. Ganz im Gegenteil. Bei ihm erfüllt es „strategische Aufgaben“. Er setzt es als eine vibrierende, wandlungsfähige und sich dauernd verändernde Materie ein, die ihre Entstehungsprozesse ebenso in sich trägt, wie sie mit den jeweiligen Bearbeitungen des Künstlers interagiert. Und es sind letztlich Gedanken, die en passant aufblitzen, Erinnerungen oder visuelle Eindrücke, die auf den Papierbahnen verarbeitet werden. Das Gedachte, Geplante löst sich auf, in leichte farbliche und fragmentarisch gesetzte, zeichenhafte Strukturen.


Sigmund Freud schrieb dereinst: "Wenn die Materie vereinfacht und sogar soweit zugänglich gemacht wird, daß sie fast keinen Widerstand mehr bietet, zu reiner Bildsamkeit wird, die in jede beliebige Form gebracht werden kann, dann bedeutet das, daß die Hände eines wirklichen Schriftstellers sie bearbeiten." (Aus: „Freud kennt die Schliche der großen Erzähler". In: Pier Paolo Pasolini: "Literatur und Leidenschaft", Berlin 1989)
Christoph Luger ist zwar kein Schriftsteller. Aber seine Werke hinterlassen trotz ihrer vielfach monumentalen Größe einen derartigen Eindruck von Leichtigkeit, farblicher Einfühlsamkeit und sinnlichem Gespür, dass man sie wohl zurecht als bildgewordene Poesie im Raum bezeichnen möchte.

 


Christoph Luger: „Wandmalerei zwischen Fresko und Bild“
Kunstraum Engländerbau, Vaduz
Bis 11.6.
tägl. 13-17, Di 13-20
www.kunstraum.li