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Karlheinz Pichler · 18. Jul 2011 · Ausstellung

Ai Weiwei als Architektur-Impresario - Sommerausstellung des Kunsthaus Bregenz

Im Rahmen der großen Überblicksausstellung "Art/Architecture" gewährt das Kunsthaus Bregenz derzeit Einblicke in das architektonische Denken des chinesischen Starkünstlers und Regimekritikers Ai Weiwei.

Seit Anfang Juni  macht das Kunsthaus Bregenz mit verschiedenen Aktionen auf das Schicksal des chinesischen Künstlers und Regimekritikers Ai Weiwei aufmerksam. Bei der Eröffnung der Biennale Venedig 2011 und auch der Ausstellung „Art/Architecture“ von Weiwei in Bregenz wurden rote Taschen mit dem Aufdruck „Free Ai Weiwei“ in großen Stückzahlen an Interessenten abgegeben. Der Schriftzug „Free Ai Weiwei“ prangt jetzt zudem in großen Lettern vom Dach des KUB. Und die Billboards entlang der Bregenzer Seestraße zieren Plakate mit Statements von berühmten Kunstschaffenden, die inhaltlich ebenfalls Freiheit für Weiwei fordern.

Aufgesetzte populistische Aktion

Das ist gut und schön, wirkt aber doch aufgesetzt und ein wenig banal, um nicht zu sagen populistisch. Die roten Täschchen muten verharmlosend an, der Schriftzug auf dem Dach des KUB wie eine Leuchtreklame. Und man fragt sich auch, wo denn all die Protestierer der Kunstszene waren, als der chinesische Premier Wen Jiabao Ende Juni in Deutschland  war, um mit den dortigen Regierungs- und Wirtschaftsgranden neue Milliardenverträge und –aufträge auszuhandeln. Amnesty International nützte die Gelegenheit zu Protestaktionen, aber von Vertretern aus der Kunstwelt war nicht viel zu sehen. Obwohl dies eine Chance gewesen wäre, direkt auf den „Kopf des Ungeheuers“ zu zielen. Man fragt sich auch, ob solche halbseidenen Aktionen nicht kontraproduktiv für die vielen anderen Künstler, Schriftsteller und sonstigen Regimekritiker sind, die in  China inhaftiert sind. Ob diese aufgrund des Aufhebens, das um  Weiwei gemacht wird, den repressiven Arm des Staates nicht umso stärker zu spüren bekommen.

Gesellschaftliche und politische Bedeutung von Architektur

Diese Betrachtungen sollen aber die Verdienste von KUB-Direktor Yilmaz Dziewior und seiner Crew um die aktuelle Ausstellung „Art/Architecture“ nicht schmälern. Denn die Bregenzer Ausstellung, die im übrigen bereits seit eineinhalb Jahren in engem Einklang mit Ai Weiwei geplant und konzipiert wurde, ist überaus informativ und sehenswert. Und sie rückt für einmal eine Facette Weiweis in den Mittelpunkt, die von den meisten bisherigen Werkschauen vernachlässigt wurde: Ai Weiwei als Architektur-Impresario. So wäre beispielsweise ohne Weiwei als Berater, Ideenlieferant und Kulturvermittler des schweizerischen Architekturbüros Herzog & de Meuron die Realisation des Nationalstadions in Peking (2008), das anlässlich der Olympischen Spiele gebaut wurde, in dieser Form kaum möglich gewesen. Im ersten Obergeschoss liefern Modellfragmente, Prototypen und Baupläne gute Einblicke in die Entwicklung dieses bislang spektakulärsten Gebäudes von Herzog & de Meuron.
Die Ausstellung führt Weiwei nicht als Stararchitekt vor – der er auch gar nicht ist – sondern als jemand, der die gesellschaftliche und politische Bedeutung von Architektur erkennt und sich daher auf diesem Gebiet immer wieder einbringt, vor allem in Form von Kooperationen. Mit dem Basler Büro HHF Architekten etwa hat Ai Weiwei „Five Houses“ aus einem Modulsystem entwickelt, bei dem drei unterschiedliche Raumeinheiten wie Dominosteine aus einem Stapel gezogen werden. „Five Houses“ ist Teil eines übergreifenden Projektes namens „Ai Weiwei House“, das sich mit der zeitgenössischen Interpretation des Einfamilienhauses als Gesamtkunstwerk beschäftigt. Mit demselben Architekturbüro schuf er für einen amerikanischen Galeristen im Bundesstaat New York auch eine „Artfarm“. Diese fensterlosen, in Stahlblech gehaltenen Hallen weisen einfache Strukturen auf und lehnen sich architektonisch eng an die landwirtschaftlichen Bauten der Umgebung an.

100 Entwürfe für Wüstenstadt "Ordos"

Und als Weiwei den Auftrag erhielt, für den neuen Stadtteil Jindong der südchinesischen Stadt Jinhua einen Masterplan zu erstellen, kontaktierte er Herzog & de Meuron, mit denen er befreundet ist und auf die er große Stücke hält, brachte diese ins Spiel und beschränkte seine Funktion auf einen wirkungsvollen kulturellen Transfer. Dieses Projekt wurde allerdings nicht realisiert, genauso wenig wie übrigens auch „Ordos 100“, ein Unternehmen, das vorsah, inmitten der mongolischen Wüste eine neue Stadt zu entwerfen. Ai Weiweis Aufgabe an dieser Stadt nach dem Reißbrett war es, ein Quartier für eine offenkundig nicht ganz unvermögende Klientel zu entwerfen. Auch hier griff der Künstler wieder auf Herzog & de Meuron zurück und übertrug ihnen die Aufgabe, 100 Architekturbüros aus aller Welt einzuladen, das Gelände zu besichtigen und ein Haus zu  entwerfen. An den KUB-Wänden des zweiten Obergeschosses sind die Vielfalt und teils große Ausgefallenheit dieser Architekturvorstellungen durch Entwurfspläne und Beschreibungen dokumentiert. Auffallend ist, dass Herzog & de Meuron sehr viele Schweizer Büros einluden, nämlich 18, davon 15 aus ihrer Heimatstadt Basel, dafür aber nur fünf deutsche Architekturbüros und nicht ein einziges österreichisches Büro.

All diese 100 Entwürfe für "Ordos" hat Ai Weiwei abstrahiert und zu einer monumentalen, formal stark reduzierten Holzstadt zusammengeführt. Diese nimmt praktisch den gesamten Raum des zweiten Obergeschosses in Beschlag. Schon allein diese skulpturale, in feinster Handarbeit gefertigte Holzstadt rechtfertig den Gang ins KUB. Sie stellt zweifelsohne den Höhepunkt der Bregenzer Weiwei-Schau dar.

Verhältnis zwischen Architektur und Bildender Kunst

Während die Ausstellungsdramaturgie im ersten Stock wie bei einer reinen Architekturausstellung vorgeht und anhand von konkreten Plänen, Modellen und Videos die politische Einbettung von Architektur demonstriert, wird sie im zweiten Obergeschoss abstrakter und kulminiert in  der grandiosen Holzstadt. Im dritten Obergeschoss schließt sich der Kreis definitiv zum bildenden Künstler hin. Hier besetzen zwei Viererreihen von unbenutzbaren Möbeln den Raum. Es handelt sich um „Moon Chests“, die runde Einschnitte aufweisen, die so versetzt sind, dass sie im Durchblick an Mondphasen denken lassen. Diese Kastenskulpturen sind aus traditionellem chinesischen Holz gefertigt und sind nicht genagelt, sondern nur geleimt.
In Summe betrachtet gelingt es dem KUB mit dieser Ausstellung, das Bemühen Ai Weiweis, das Verhältnis zwischen Architektur und Bildender Kunst zu untersuchen, plastisch darzulegen. In Anbetracht des Engagements, das hinter all dem Gezeigten steckt, würde man in Ai Weiwei eher einen Botschafter Chinas vermuten als eine derart und bar jeder menschrechtlichen Grundüberlegungen geknechtete Persönlichkeit.

Kunsthaus Bregenz, bis 16. Oktober