Faurés Requiem in Orgelversion gelang überzeugend in Koproduktion von Stella und Herz Jesu unter der Leitung des Graubündners Clau Scherrer. (Foto: Victor Marin)
Manuela Cibulka · 27. Apr 2024 · Theater

Aus eins mach zwei – wirklich?

„Amphitryon“ von Heinrich von Kleist nach Moliere feierte diese Woche Premiere im Landestheater.

„Ein Ich, das Wissen von uns allen Machenschaften hat“, ein Satz aus der Feder Kleists erschienen im Erstdruck 1809. Als Sosias, Diener des Amphitryon, diesen im Unglauben darüber, dass ein anderer nicht nur so aussieht wie er, sondern vielmehr auch allwissend über Vorgänge, Wünsche und Gefühle ist, ausspricht, konnte damals damit nur ein Göttlicher gemeint sein. Heute, auf der Bühne das Landestheaters, wird gleich zu Beginn klar, welche Allwissenheit in der Inszenierung von Angelika Zacek gemeint ist.

KI-Bilder von Papst, Queen, Trump und Kim Jong-un, die durch die Medien gingen, erscheinen dem Publikum, und die Frage nach Wahrheit oder Fake steht für die nächsten 100 Minuten über der gesamten Handlung.
Alles beginnt vergnügt, die blaue Bühne öffnet sich für vier mit Pelzmänteln, Perücken und knallbunten Anzügen bestückte Darsteller:innen (Bühne und Kostüm Gregor Sturm). Disco-Sound und -Kugel erzeugen Stimmung und während sich eines der Paare liebestoll zurückzieht – sehr gut gelöst die spitz zulaufende Bühne, die durch eine Drehtüre verlassen und betreten werden kann – verschmäht jener Herr, der offensichtlich ein DJ-Pult bedient, die Zuwendung seiner Partnerin. Erstes Paar sind Alkmene und der siegreiche Feldherr Amphitryon, oder besser der vermeintliche Amphitryon. Ist es doch in Wirklichkeit Jupiter, der in menschlicher Gestalt die Schönheit verführt. Beim zweiten Paar handelt es sich um die Dienerschaft der beiden, doch auch hier hat sich ein Gott eingeschlichen. Merkur ist es, und nicht Sosias, der in dessen Gestalt am Abend die Zuwendung der Dienerin Charis verschmäht.

Im Doppel besser

In der zweiten Szene bereits trifft Sosias auf Merkur. Lediglich ihre gelben Anzüge leuchten in derselben Farbe und die Perücken deuten das Gleich-Sein an. David Kopp gibt einen bemühten, tollpatschigen, leicht zu verunsichernden Diener. Nico Raschner als Merkur legt diesen im Gegensatz dazu überaus cool und vor Selbstbewusstsein strotzend an. Beide in ihrer Art sehr überzeugend und wenn erster immer wieder für Lacher im Publikum sorgt, erzeugt zweiter in einer eindrücklichen Szene etwas später selbst auf der Bühne einen glamourösen Lacher. Ein toller Auftritt.
Auf das Zusammentreffen von Jupiter und Amphitryon muss das Publikum bis nach der Pause warten. Bis dahin folgt die große Verzweiflung sowohl der in die Falle gelockten Ehefrau als auch des gehörnten Ehemannes. Maria Lisa Huber weiß, wie Verzweiflung im alten Theben ausgesehen haben muss: zitternde Lippen, panische Krämpfe, feuchte Augen, königliches Leid, immer am Rande des Zuviel und doch genau richtig. Ihre Dienerin Charis, von Isabella Campestrini jugendlich keck gespielt, verströmt Flapsigkeit und Unkompliziertheit. Ihr geht es weniger um die Wahrheit, den besseren der beiden Männer hätte sie einfach gerne, und das scheint ihr wohl der göttliche zu sein. 
Nie abgelenkt von Requisiten und durchwegs fokussiert verlangen vor allem die Szenen nach der Pause Präzision von den Schauspieler:innen. Amphitryon (Luzian Hirzel) und sein Nebenbuhler Jupiter (Grégoire Gros) stehen sich gespiegelt gegenüber und exakt sind nicht nur hier ihre Bewegungen und Pausen. Sie loten aus, nehmen sich Zeit, sind sicher im Tun und auch in dem darauffolgenden getakteten Sprechchor des „Volkes“ wird deutlich, wie gut das Ensemble im gleichwertigen Zusammenspiel funktioniert.

Aus zwei mach vier

Trotz Versform ist die Inszenierung leicht zugänglich und die knapp zwei Stunden bleiben spannend und unterhaltsam. Was dem einen ein wenig Zuviel an Pelz, Perücke, Glitzer und ABBA-Chic sein wird, wird die anderen locken. Und dass die überdimensionierte Kugel, die sowohl ideal als Spiegelfläche funktioniert, um aus zwei gleich vier derselben zu machen, als auch den Impetus von mehr „Schein als Sein“ verdeutlicht, ordentlich was her macht, ist unbezweifelbar. Für das Licht (Simon Tamerl) bleibt man vielleicht sogar in der Pause, wenn die Kugel im außerordentlichen Design erstrahlt, im Publikumsraum sitzen.
Alkmenes vielgerühmtes „Ach“ am Ende des Stückes lässt aber durch den klaren Verweis, in welche Richtung die Deutung gehen solle, weniger Interpretationsmöglichkeiten, als es sich manch Theaterbegeisterte/r wünschen würde. Dennoch: klare Empfehlung und sich wenn möglich am besten eine oder einen Jugendlichen schnappen, um nach dem Stück ausgelassen weniger über Identität sondern mehr über Künstliche Intelligenz zu diskutieren.

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Landestheater Vorarlberg: „Amphitryon“ von Heinrich von Kleist – ein Lustspiel nach Molière
weitere Aufführungen: 27./30.4. sowie 28./29.5. und 2.6. jeweils 19.30 Uhr
Theater am Kornmarkt, Bregenz
https://landestheater.org/spielplan/kalender/