2025 ist der erste Festspielsommer in Bregenz unter der Leitung von Intendantin Lilli Paasikivi (Foto: Anja Köhler)
Peter Füssl · 30. Mai 2023 · CD-Tipp

Arooj Aftab, Vijay Iyer, Shahzad Ismaily: Love In Exile

“Wir haben es vom ersten Moment an gespürt. Wir waren baff und schwiegen uns erst einmal an, bevor einer sagte: ‚Ich weiß nicht, was da gerade passiert ist. Aber wir sollten das wiederholen.‘“ So schildert der indischstämmige amerikanische Pianist Vijay Iyer die Gefühle nach dem ersten gemeinsamen Konzert mit dem Multiinstrumentalisten Shahzad Ismaily und der Sängerin Arooj Aftab, die beide pakistanische Vorfahren haben.

Man war ohne Vorbereitung angetreten und ließ einfach alles spontan geschehen. „Vijay und Shahzad waren so sehr eins, dass nicht klar war, ob sie mir folgten, oder ich ihnen. Wir waren wie ein Schwarm Fische“, zeigt sich auch Aftab von der perfekt passenden musikalischen Chemie innerhalb des Trios begeistert. Das 2018 in New York erstmals zelebrierte gemeinsame Kreieren außergewöhnlicher, zwischen freier Improvisation, Jazz und Indisch-Pakistanischem angesiedelter Soundwelten in Echtzeit wurde mittlerweile bei einer Handvoll von Konzerten wiederholt und nun auch auf einem Doppelalbum verewigt. Die sechs zwischen acht und knapp fünfzehn Minuten langen Titel scheinen – nur oberflächlich gehört – über weite Strecken Ambient-mäßig dahin zu mäandern, bis Iyer mit seiner unorthodoxen Tastenkunst, Ismaily mit grottentiefen Basstönen oder Aftab mit ihren von Sehnsucht, Liebe und Verlust handelnden, im Wesentlichen aber instrumental eingesetzten, auf Urdu gesungenen Qawwali-Gesängen die Strukturen verschieben und außergewöhnliche Akzente setzen. Bei konzentriertem Zuhören eröffnen sich auch rasch die Feinheiten der spontanen Kommunikation und die musikalische Raffinesse, mit der Ideen aufgegriffen und ausgearbeitet werden. Wir haben es hier schließlich mit drei Ausnahmekönner:innen zu tun. Vijay Iyer hat für viele seiner zwei Dutzend, unter anderem bei den Münchner Labeln ACT und ECM erschienenen Alben sowohl als Pianist, als auch als Komponist zahlreiche Auszeichnungen und überbordend exzellente Kritiken erhalten. Wer Shahzad Ismaily jemals live erlebte, war fasziniert von seinem unglaublichen musikalischen Einfühlungsvermögen und Gespür für umwerfende Effekte – kein Wunder, dass ihn von Lou Reed, Laurie Anderson und Tom Waits, über Marc Ribot bis John Zorn schon unzählige Musiker:innen auf die Bühne baten. Und die 38-jährige Arooj Aftab hat mit ihrem erst dritten, 2021 erschienenen, exzellenten Album „Vulture Prince“ die Musikwelt über alle Genregrenzen hinweg begeistert und ein Jahr später – als erste Pakistani überhaupt – einen Grammy („Best Global Music Performance“) erhalten. Ihre Stimme wirkt archaisch kraftvoll und schwerelos zugleich und nimmt mit einer meditativen Kraft gefangen. Dieses außergewöhnliche Trio scheint sich auf traumhafte Weise zu einer übergeordneten Einheit zu vereinen. Sich in die exotischen, auch unter geschicktem Einsatz von (Moog-)Synthesizern elektronisch generierten, düster-schönen Klangwelten fallen zu lassen und für 75 Minuten den üblichen Koordinaten von Zeit und Raum zu entkommen, kann nahezu hypnotische Wirkung entfalten. Vorsicht, Suchtgefahr!

(Verve/Universal)

Konzert-Tipp: 29.5. Moods Zürich