Henry Fonda for President – zu sehen am Spielboden Dornbirn: Di 24.6., 19.30 Uhr (© Mischief Film – Medea Film Factory / Michael Palm)
Sieglinde Wöhrer · 04. Jun 2025 · Film

„Ammoniak“ als groteskes Machtspiel

Im Film von Anita Makris überzeugt Schauspielerin Yasmin Ritter als gealterte und von Angst und Wahnsinn gesteuerte Gymnasialprofessorin. Am Dienstag wurde die Vorarlbergpremiere in der Kinothek Lustenau gespielt.

Von oben filmt die Kamera ins Innere einer Familie, auf den Küchentisch und das gemeinsame Abendessen, und sofort wird der absurde Anstrich deutlich, der sich in den nächsten 34 Minuten durch den Film zieht. „Ammoniak“ ist ein Film, der mit Assoziationen spielt und mit bizarren Elementen in die Abgründe einer gescheiterten Schülerin-Lehrerin-Beziehung blickt. Die verträumte 14-jährige Rafaela Bianchi (Elisa Cicek) scheint im Gymnasium von vornherein keine Chance zu haben, und mit ihrer aufsässigen Art wird sie zur Bedrohung für die alt gewordene Professorin Sieglinde Kranswer (Yasmin Ritter), die mit ihren Ängsten zu kämpfen hat. 

Gefühlswelten und Machtstrukturen 

Beharrlich bringt Rafaela das hierarchische Verhältnis in ihrer eigenen kreativen Welt zum Kippen, woraufhin sich Kranswer provozieren lässt und die Situation durch ihre Besessenheit von dem Mädchen außer Kontrolle gerät. Auf bemerkenswerte Weise greift der Film beide Perspektiven dieser schwierigen Beziehung gleichermaßen auf und zeigt Gefühlswelten und Machtstrukturen durch skurrile Geschehnisse und unterschiedliche räumliche Darstellungen. Rafaelas lebendig gewordene Stop-Motion-Vögel verfolgen Kranswer in ihren wahr gewordenen Alpträumen. 
Sowohl die Ältere wie auch die Jüngere haben etwas Unheimliches und Abschreckendes an sich, das sich in späteren übernatürlichen Horrorszenen noch verstärkt. Man spürt die gegenseitige Abneigung, und der manische Charakter Kranswers kommt auch in Szenen mit dem Schuldirektor (Paul Matić) oder dem Schulpsychologen (Alexander Absenger) zum Vorschein. Doch beide – zwei völlig realitätsferne Figuren – sind an der ganzen Situation genauso unbeteiligt wie die Eltern des Mädchens, die geschrumpft in einer Kartonschachtel leben und völlig distanziert sind von den schulischen Problemen ihrer Tochter. 

Absurd-witzig und leicht gruselig

Was wirklich passiert und was sich nur im Unterbewusstsein der Figuren abspielt, können die Zuschauer:innen selbst entscheiden. Anita Makris‘ sanfter Einsatz von überzogenen Größenverhältnissen macht das Ungleichgewicht dieser Konfrontation noch deutlicher. „Die innere Welt ist oft noch viel konkreter als das, was außen passiert“, sagt die Regisseurin im Gespräch, das im Anschluss an die Vorarlbergpremiere von „Ammoniak“ im Kino Lustenau stattfand. So seien auch die Fantasien der Charaktere viel realer als die Wirklichkeit, was durchaus im Film rüberkommt. 
Mit starken Gesichtsausdrücken in der Nahaufnahme bringt Yasmin Ritter eine sehr ironische Komponente von Kranswer mit ins Bild, die gleichzeitig die Emotionen der Figur noch verschärfen. Unverfälscht zeigt Ritter, wie Kranswer durch die Angst immer mehr die Kontrolle über sich selbst verliert und innerlich vom Irrsinn überwältigt wird. Paul Matić und Alexander Absenger heben in ihren pathetischen Figuren den surrealen Charakter des Film hervor und Elisa Cicek macht in ihrer Interaktion mit den animierten Vögeln die spielerische und fantasievolle Dimension deutlich.
In „Ammoniak“ verknüpft Makris Fantasie, Comedy, Horror und Stop-Motion-Animation (Cintia Sepp) in einem Kurz-Drama, wodurch ein absurd-witziger und leicht gruseliger Film entstanden ist, der auf eine fantastische Weise strenge Hierarchien und Generationenkonflikte sichtbar macht. Der Kurzfilm wurde auf dem Short Long World Festival Corrientes in Argentinien und dem Mumbai International Cult Film Festival in Indien sowie in Wien und Vorarlberg aufgeführt. 

Nächste Aufführung: im Rahmen der Sommerreihe „Hofkultur Lustenau“ 
„Ammoniak“ – Kurzfilm von Anita Makris, 15.7., 19 Uhr
Gutshof Heidensand, Schmitterstraße 4a, 6890 Lustenau, Eintritt frei
https://www.lustenau.at/de/freizeit/kultur/highlights/hofkultur-im-gutshof-heidensand