Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 25. Mai 2023 · Film

All the Beauty and the Bloodshed

Ein faszinierendes Porträt der Fotokünstlerin Nan Goldin, die zur Chronistin der Opioid-Krise in den USA wird. Laura Poitras verbindet Goldins schwierige Biographie mit raren Einblicken in die Underground-Szene vom New York der Achtziger Jahre.

Die Fotografie hat mir eine Stimme gegeben, sagt Nan Goldin im Film. Ein schöner Satz, unter dem man sich sofort etwas vorstellen kann. Vor allem aber dann, wenn man sich Laura Poitras Film ansieht. Denn Goldin, eine prominente Akteurin in der globalen Kulturszene, begegnet einem auf eine Weise, in der das Leben und die Kunst nicht mehr zu trennen sind. Da ist Goldin, die renommierte Fotokünstlerin, die zu Beginn von „All the Beauty and the Bloodshed“ die Mitarbeiter des Museums dabei anweist, wie sie ihre Fotografien an den Wänden in Beziehung zueinander bringen sollen. Und dort ist Goldin, wo sie gemeinsam mit Aktivisten der von ihr selbst gegründeten Gruppe P.A.I.N. den Museumsbetrieb stört, lautstark Parolen skandiert, Flugblätter und Tablettendosen wirft, sich flach auf den Boden legt. Die Proteste richten sich gegen die Sackler-Familie, deren Pharmazieprodukte in der Opioid-Krise in den USA eine zentrale Rolle spielen. Aus Goldins eigener Schmerzmittelsucht resultierte schließlich der Kampf gegen die Verantwortlichen, die Milliardärsfamilie Sackler. Und dieser Kampf wiederum fließt in Goldins Kunst ein – was wiederum besonders schön zu sehen ist in Laura Poitras‘ stets schwebender, in viele Richtungen offen gehaltener Erzählung. Poitras erlaubt es sich, weder ein klassisches Künstlerporträt noch eine politische Dokumentation (über die Opioid-Krise) zu machen. Sie setzt immer wieder von biographischen Details ausgehend eine Beziehung zum gesellschaftlichen Umfeld ihrer Zeit. Der Bogen spannt sich von den schwierigen familiären Verhältnissen der jungen Nan über deren Eintauchen in die Undergroundszene bis zur Gründung von P.A.I.N. und dem erfolgreichen Kampf, die Sacklers als Kunstmäzene weltweit aus den größten Museen zu verbannen. Dabei zeigt Poitras („Citizenfour“) einmal mehr ihr Talent, Nuancen, Ambivalenzen, feinste Stimmungen nicht unter dem Druck politischer und emotional schwerwiegender Ereignisse untergehen zu lassen. Poitras schafft für Goldin den Raum, um mit ihrer brüchigen Stimme sowohl von der Schönheit, wie auch dem Blutvergießen zu erzählen.
 

Vulnerabel und empowered

Poitras zeichnet ein faszinierendes Porträt zwischen dem Underground-Glamour der 1980-Jahre in Downtown Manhattan, das wie in einem dunklen Prisma schimmert – John Jarmusch kann man auf einer der Aufnahmen ausmachen. Poitras strukturiert ihre Erzählung durch Fotos, trägt zu einer konzentrierten, zurückhaltenden Erzählweise teils dramatischer Ereignisse bei: Dazu die Stimme von Nan, wie sie innerlich aufgewühlt episodisch Rückschau hält, während sie ihre Worte stets bedacht wählt. Inhaltlich wird der bedingungslose Aktivismus gegen die Sackler-Familie als Hauptverursacher der Opioid- bzw. Overdose-Crisis in den USA mit der Biographie Goldins parallel gesetzt. Dadurch löst sich der Film bald von investigativen Formaten und entwickelt eine ganz eigene Semantik und Stimmung. Es ist eine raue aber auch liebevolle Rückschau in eine Zeit, in der sich die heutige Starfotografin zwischen Underground-Kulturszene und Sexarbeit durchs Leben schlug, vulnerabel, oftmals an der Grenze zur Selbstgefährdung. Das ermöglicht auch eine bemerkenswerte Lesart jener Menschen, die in den USA aufgrund mangelnder öffentlicher medizinischer Versorgung in die Abhängigkeit von Schmerzmitteln, etc. getrieben werden, und jenen, die willfährig diese gesundheitspolitische Lücke besetzen und Gewinn daraus schlagen. Der Film behält sich allerdings vor, die Sacklers erst am Ende ins Bild zu setzen. Der Raum von „All the Beauty and the Bloodshed“ ist aus guten Gründen Nan Goldin und ihrer Biographie gewidmet. Einer Fotografin, die den Schmerz oft in der Schönheit ihrer Fotografien sichtbar macht. Immer wieder dokumentierte Goldin ihr Umfeld, das Leben von Freunden, und öfters auch den Tod, der in den 1980ern durch das HIV-Virus präsent war. Poitras wiederum schlägt eine Brücke von AIDS zur heutigen Opioid-Krise der USA und macht damit ein kontinuierliches Versagen der Gesellschaft bzw. der Politik deutlich. Mit Nan Goldin als Beat-Poetin und Kronzeugin.