Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Fritz Jurmann · 10. Nov 2021 · Aktuell

Anregendes Festspielprogramm 2022: Durchdachte Vielfalt mit klaren Strukturen

Der Kopf ist weg, eingemottet oder entsorgt, der in den Sommern 2019 und 2021 Symbol war für „Rigoletto“ am See, eine der mit jeweils fast zu 100 Prozent ausgelasteten und damit erfolgreichsten Produktionen der Bregenzer Festspiele in ihrer 75-jährigen Geschichte. Bei der traditionellen Programm-Pressekonferenz am Mittwoch geht der Blick voraus, aller Augen sind nach Osten gerichtet, wo zwei Frauenschicksale verortet sind, die das Operngeschehen 2022 am See und im Haus bestimmen werden. Mit Giacomo Puccinis „Madame Butterfly“ ist das eine der populärsten, zugleich auch tränenreichsten Opern der Welt, mit „Sibirien“ von Umberto Giordano eine Rarität, der man damit aus der unverdienten Vergessenheit heraushelfen will.

In insgesamt 84 Vorstellungen präsentiert sich das Festspielprogramm 2022 von größter Vielfalt, aber auch mit entsprechend vernetzten Zusammenhängen und Anknüpfungspunkten unter den einzelnen Produktionen, wie es Festspiel-Intendantin Elisabeth Sobotka in ihrer Programm-Dramaturgie bevorzugt. Das Podium ist diesmal auf der Vorbühne des großen Saals im Festspielhaus aufgebaut, mit einem überdimensionalen Kimono als Hintergrund als Verweis auf die Oper am See. Und: Axel is back! Man freut sich, nach längerer krankheitsbedingter Absenz wieder Pressesprecher Axel Renner als launigen Moderator der Runde zu erleben.     

Kunst finanziert Kunst

Präsident Hans-Peter Metzler wirft zu Beginn einen letzten Blick zurück auf den heurigen Sommer 2021, den die Festspiele mit viel Glück und einem verständnisvollen Publikum trotz der Corona-Einschränkungen fast unbeschadet und mit künstlerischem und finanziellem Erfolg abschließen konnten. „Die Batterien sind vollgeladen, und wir sind voller Tatendrang und positiver Erwartung“, so der Präsident. Intendantin Elisabeth Sobotka bezeichnet es vor ihrem achten Jahr in Bregenz als Geschenk, dass sie in dieser schwierigen Zeit überhaupt eine komplette Saison planen und dabei auch in neue Formate und Projekte etwa mit Neuer Musik auf der Werkstattbühne oder im Opernstudio investieren könne. Der Grund sei der gute finanzielle Abschluss der heurigen Jubiläumssaison, der nun das alte Wort ihres Vor-Vorgängers Alfred Wopmann wieder bewahrheitet: „Kunst finanziert Kunst“.
Es scheint sich bereits auszuzahlen, dass man Puccinis „Madame Butterfly“ für den See angesetzt hat, denn schon jetzt sind ein Viertel der aufgelegten 189.000 Karten für 26 Vorstellungen verkauft. Es ist eine Premiere im doppelten Sinn, denn diese Oper war trotz ihrer enormen Popularität unverständlicherweise bislang noch nie in Bregenz zu sehen. Eigentlich wäre diese Oper ja bereits im Vorjahr geplant gewesen, was durch Corona verhindert wurde. Für die Inszenierung konnte einer der interessantesten Regisseure unserer Zeit angeheuert werden, der gebürtige Ungar Andreas Homoki, seit 2012 Intendant am Opernhaus Zürich.

Aufregende Regie-Persönlichkeit am See

Als Teilnehmer der Pressekonferenz outet er sich als überaus witziger, geistvoller Beobachter unserer Zeit und ihrer Kunst, der seine Aufgabe in Bregenz, die er 2016 übertragen erhielt, mit größtem Respekt angeht. Er war mehrfach selber in Japan und kennt die dortige Kultur und die Gebräuche sehr genau. Entsprechend detailliert fällt auch seine Charakterisierung der Hauptfigur Cio-Cio-San aus, die an ihrer unglücklichen Liebe zugrunde geht, nicht ohne zuvor noch eine erschütternde Arie gesungen zu haben. Ihr Schicksal will er möglichst authentisch erzählen. Die neue Skulptur entsteht in engem Einvernehmen mit seinem Bühnenbildner Michael Levine. Wie sie wirklich aussehen soll, bleibt wie üblich das letzte große Geheimnis der Festspiele. Ein zweiter technischer Wunderwuzzi wird es nach dem „Rigoletto“-Kopf wohl nicht werden. Dirigent der Produktion wird der in Bregenz bestens bekannte Enrique Mazzola sein.
Die Hausoper „Sibirien“ stammt von Umberto Giordano, kam 1903 an der Mailänder Scala heraus, aber über Achtungserfolge an einigen großen Häusern nie hinaus. Giordano ist auch der Komponist der Oper „André Chenier“, die den Festspielen auf der Seebühne in den Jahren 2011/12 zwar einen großen künstlerischen Erfolg, aber zugleich auch empfindliche finanzielle Einbußen durch Besucherrückgang bescherte. Auch hier steht mit der Kurtisane Stephana eine Frau im Mittelpunkt, deren Liebe zu einem Mann tragisch endet.

Opernstudio im Doppelpack

Die dritte und vierte Oper der nächsten Festspielsaison liefert das aus besonderem Anlass verdoppelte Opernstudio. Mit „Die Italienierin in Algier“ lädt jene Rossini-Oper ins Theater am Kornmarkt, die fertig geprobt wenige Stunden vor der Premiere in der vergangenen Saison wegen eines Coronafalles im Ensemble abgesagt werden musste. Diese Oper in der Regie von Brigitte Fassbaender geht nun als Ersatztermin bereits vor Festspielbeginn am 8. Juli mit zwei weiteren Vorstellungen über die Bühne. Zudem gibt es im August auch ein weiteres, aktuell für dieses Jahr 2022 vorgesehenes Opernstudio mit Joseph Haydns „Armida“. Regisseur Jörg Liechtenstein führt hier Regie mit jungen Sängerinnen und Sängern. Beides Mal dirigiert Jonathan Brandani das Symphonieorchester Vorarlberg.
Schließlich gelangt, nach der Uraufführung von Alexander Moosbruggers Oper „Wind“ im vergangenen Sommer, auch das Opernatelier der Festspiele in seine dritte Runde. Der frühere Festspiel-Intendant David Pountney geht zusammen mit der belgisch-irischen Komponistin, Geigerin und Grafik-Designerin Ena Brennan auf eine Entdeckungsreise hin zu einer neuen Oper. Der erste Einblick zum noch namenlosen Werk erfolgt am 25. Jänner 2022 im Kunsthaus, die Uraufführung ist für 2024 geplant.
Dann gibt es auch zeitgenössisches Musiktheater. Als Kompositionsauftrag in Koproduktion mit den Schwetzinger SWR Festspielen gelangt „Kapitän Nemos Bibliothek“ mit dem Ensemble Modern zur österreichischen Erstaufführung. Dieses Ensemble hat auch das Werk „Melencolia“ von Brigitta Muntendorf in Auftrag gegeben, das am 16. August gezeigt wird.

Opulente Orchesterkonzerte

Werke großer russischer Komponisten und von Richard Wagner warten bei den Orchesterkonzerten der Wiener Symphoniker sowie des Symphonieorchesters Vorarlberg auf die Besucher. „Ganz persönlich“ präsentieren sich Mitglieder der Symphoniker in der neuen, gleichnamigen Programmreihe an drei Abenden dem Publikum in kammermusikalischen Besetzungen. Außerdem lädt die Orchesterakademie Bregenz nach einer Woche Probenarbeit mit jungen MusikerInnen unter der Leitung von Chefdirigent Andrés Orozco-Estrada zu einer Abschlussmatinee ins Festspielhaus. Partner bei diesem Unternehmen ist das Landeskonservatorium Feldkirch. Mit dem Ensemble Franui und dem Puppenspieler Nikolaus Habjan kommen gute alte Bekannte mit neuen Programmen an den Bodensee, auch das gefragte heimische Ensemble „Die Schurken“ gastiert mit dem abenteuerlichen Konzertstück „Vergissmeinnicht“. Drei Folgen der beliebten Reihe „Musik & Poesie“ ergänzen das Programm. 
Bereits um Ostern gibt es „keine Oster-Festspiele!“, wie die Intendantin betont, aber ein vorgezogenes Gastspiel des Wiener Burgtheaters in prominenter Besetzung mit Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ in der Regie von Direktor Martin Kusej. Wie schon gewohnt gastiert auch das Deutsche Theater Berlin mit einer Premiere von Shakespeares „Der Sturm“ am Kornmarkt.