Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Walter Gasperi · 17. Okt 2010 · Theater

Bewegendes Plädoyer für Menschlichkeit

Mit Felix Mitterers „Kein Platz für Idioten“ wählte die Theatergruppe Fußach für seine 20. Produktion keine leichte Komödie, sondern ein dichtes gesellschaftskritisches Volksstück. Augustin Jaggs konzentrierte Inszenierung und ein starkes Schauspieler-Ensemble sorgten für einen bewegenden Theaterabend.

Ein Umgang mit Menschen mit Behinderung, wie ihn Felix Mitterer in seinem 1977 entstandenen ersten Stück schildert, ist heute glücklicherweise -  zumindest in unseren Breiten - kaum mehr denkbar. Im Konkreten mag „Kein Platz für Idioten“ damit nicht mehr auf der Höhe der Zeit sein, doch aktuell ist immer noch die Kritik an einer Profitgier, die über die Menschlichkeit gestellt wird. Und brennend aktuell wird das Stück, wenn man im Kopf an die Stelle des geistig behinderten Jungen Sebastian Migranten und Asylanten setzt und an den Umgang der Gesellschaft mit diesen Gruppen denkt.

Kompakt und aufs Wesentliche reduziert

Ein kleiner Widerspruch entsteht so in der Inszenierung, wenn Augustin Jagg einerseits mit Flachbildfernseher und Diskussion über die Errichtung eines Golfplatzes das Stück in die Gegenwart verlegt, andererseits die Stammtischrunde im Wirtshaus über den geistig zurückgebliebenen Sebastian herziehen lässt, wie es heute eben undenkbar ist. Das Hier und Jetzt des Ambientes und die gezeigten Verhaltensweisen und Diskussionen wollen nicht so recht zueinander passen. Besser wäre es hier vielleicht gewesen, das Stück im historischen Kontext zu belassen.
Doch dies ist die einzige kleine Schwäche eines insgesamt sehr kompakten und konzentrierten Theaterabends. Aufs Wesentliche reduziert ist das Bühnenbild von Jagg und seinem Team: Vor schwarzem Hintergrund stehen nur je nach Bedarf einer oder mehrere helle Holztische und –stühle. Nur ganz wenige Requisiten wie der schon genannte Flachbildfernseher und ein Radio werden eingesetzt, nichts lenkt so von den Schauspielern ab.
Gut eingestimmt auf das Stück wird das Publikum durch das Akkordeonspiel Herbert Mayers. Mit seiner schwermütigen Musik bereitet er zunächst auf das Folgende vor, führt den Zuschauer sanft vom Alltag in die Welt des Theaters, überbrückt dann die beiden kurzen Umbaupausen zwischen den Akten, sodass man nicht herausgerissen wird, und  entlässt einen am Ende wieder bewegt und nachdenklich ins Leben.

Drei exemplarische Szenen

Ungemein dicht ist der erste Akt im Elternhaus des 16-jährigen Sebastian. Im energievollen Spiel Carmen Hubers als Mutter wird der Hass der Eltern auf ihren Sohn, der ihrer Meinung nach zu nichts zu gebrauchen ist, nur kostet, aber nichts leistet, beklemmend vermittelt. Weil diese Beschreibung häuslicher Gewalt und familiärer Gehässigkeiten nicht an gesellschaftliche Entwicklungen gebunden, sondern zeitlos und universell ist, packt dieser Auftakt ungemein. Verständnis für Sebastian hat hier nur die alte Hilfskraft Hans. Linus Feistenauer drückt in dieser Rolle mit seinem zurückhaltenden, aber sehr einfühlsamen Spiel diesem Theaterabend den Stempel auf.
Vor allem die Übertragung in den regionalen Dialekt und das vertraute Milieu erweist sich als Glücksfall: Authentizität gewinnen die Figuren dadurch, dass sie nah am Alltag der Schauspieler sind.
Auf diese Schilderung der familiären Situation folgt im zweiten Akt mit einer Wirtshausszene die gesellschaftliche Perspektive. Mit geschickter Raumaufteilung wechselt Jagg hier zwischen Diskussionen am Stammtisch, zwei Touristen (Jürgen De Costa, Ruth Kannamüller) sowie Sebastian und dem ihm inzwischen zum Ziehvater gewordenen Hans. Überzeugend spielt Albert Lässer den aggressiven Stammgast Adi, dem von seinen beiden Kollegen (André Röck und Helmut Felder) zu wenig entschieden Widerstand geleistet wird. Ohne Leerlauf und dicht ist auch dieser Akt, punktgenau gespielt von allen Akteuren, trifft aber nicht im Innersten, da man sich – wie schon oben angesprochen - eine solche Szene heute ganz einfach nicht mehr vorstellen kann.
So entsteht das Paradox, dass ein im Kern gesellschaftskritisches Stück gerade in den privaten Szenen am stärksten bewegt.

Die Kraft liebevoll-fördernder Fürsorge

Das zeigt sich auch im letzten Akt, der als Gegenpol zum ersten Akt angelegt ist. Ganz im Zentrum steht hier die Beziehung zwischen Hans und Sebastian. Durch die fördernde Fürsorge des Ziehvaters hat Sebastian nicht nur zur Sprache gefunden, sondern auch Lesen gelernt. Mit viel Wandlungsfähigkeit vermittelt der junge Fabian Hämmerle diese Entwicklung von der gedemütigten verstockten und wortlosen Kreatur zum interessierten und sich an der Welt freuenden Jugendlichen. Plastisch und bewegend werden die positiven Auswirkungen einer Bezugsperson und eines Umfelds, das Geborgenheit und Wärme bietet, aufgezeigt. Umso erschütternder ist das Ende, bei dem das Glück – und nicht nur das von Sebastian - an der Gesellschaft zerbricht.


Weitere Aufführungen: 22./23./29.10.; 5./6.11.2010
jeweils 20 Uhr, Mehrzweckhalle Fußach