Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Fritz Jurmann · 05. Jul 2014 · Musik

Gerold Amanns „Die Vögel“ auf der Ruine als großartige Gemeinschaftsleistung: Sprachlosigkeit rückt das Stück auf eine neue, faszinierende Ebene

Mit allen Anzeichen eines Kulturereignisses von besonderem Format ging am Freitag spätabends die Uraufführung von Gerold Amanns Komödie „Die Vögel“ nach der Vorlage des altgriechischen Dichters Aristophanes als imponierende Gemeinschaftsleistung durch die Spielgemeinde Schlins über die Bühne der Burgruine Jagdberg. Rund 40 Jahre nach seinem Erstling „Goggalori“ und elf Jahre nach „Formicula“ in diesem Rahmen hat der Komponist im stolzen Alter von 77 Jahren seine mutigste, vielleicht auch seine reifeste Leistung für den Musiktheaterbereich abgeliefert. Die 75-minütige Produktion kommt praktisch ohne ein verständlich gesprochenes Wort aus, konnte aber das Publikum samt Prominenz aus Politik und Kulturszene des Landes dennoch gefangen nehmen und letztlich auch begeistern.

Sprachlosigkeit eröffnete neue Dimensionen


Was passiert eigentlich, wenn man einem Theaterstück etwas so Substanzielles entzieht wie die Sprache? Wenn statt Worten nur noch Laute wie mhm, aso, uiuiui  oder Altgriechisches das Sagen haben? Solche Sprachlosigkeit fordert zunächst enorme Toleranz beim Publikum, sie regt aber auch zum Denken an. Und rückt vor allem das Geschehen auf neue, ungeahnte Dimensionen der menschlichen Kommunikation. Diese Chance hat Gerold Amann ergriffen und daraus die altgriechische Vorlage in einem Zwischenbereich von Vergangenheit und Gegenwart angesiedelt.
Ob daraus nun wirklich die angesprochene Komödie geworden ist, bleibt offen. Schon der bloße Versuch einer Einordnung dieses Stückes zwischen Lustspiel, Parodie, Kabarett oder Narretei muss zwangsläufig scheitern. Denn als gelernter Amann-Freak, weiß man es seit Jahrzehnten: So wie alle seine Open-air-Stücke sind auch „Die Vögel“ so sakrosankt, so eigenständig und eigenwertig, dass sie sich einfach jeder Kategorisierung versagen.

Gerold Amanns unverwechselbare Handschrift


Dafür erlebt man fasziniert jenes so typische Konglomerat aus Elementen, die eben diese Faszination ausmachen. Da sind die Urlaute aus dem Tierreich, die immer wieder auftauchen, da ist uraltes Volksgut zu beobachten, wie der rasende Tanz des Spötters mit einer Strohpuppe als Reminiszenz an den „Goggalori“, da wird viel getrommelt (oft nach japanischen Taikos) und geflötet. Und natürlich gesungen, in oft mittelalterlich anmutenden, archaischen Sätzen, wie sie Amanns Klangwelt immer wieder auszeichnen.      
Das Spiel selbst handelt in seinen Grundzügen von eitlen Göttern, leicht verführbaren Vögeln und arglistigen Menschen, die auf der opulenten Bühne der Burgruine in drei Stockwerken übereinander angesiedelt sind. In 31 Szenen geht es um Vorrangstellungen: Den Vögeln wird eingeredet, sie könnten alle Macht dieser Welt besitzen, wenn sie nur einen Staat gründen würden. Sie bauen dann ihre eigene Stadt, Wolkenkuckucksheim, doch die Sache verläuft desaströs.

Regie in starker weiblicher Hand


Viele Treppchen, Ausbuchtungen und eine Spielfläche im Zentrum (Bühne: Johannes und Verena Rauch) bieten den rund 120 Mitwirkenden eine Unzahl an Möglichkeiten für Auftritte, Dialoge, Chor-, Tanz- und Akrobatikszenen, die von einer sehr stimmigen, perfekten Licht- und Tonregie begleitet werden (Martin Beck – Technik für Kunst- und Kulturprojekte). Regisseurin Brigitta Soraperra führt das Geschehen mit starker Hand, teilt es in klar gegliederte Abläufe. Das hat alles Tempo, da gibt es keine Leerläufe. Auch wenn es manchmal so aussieht: Nichts bleibt dem Zufall überlassen, jeder dieser Einfälle ist bis ins kleinste Detail ausgearbeitet worden.
Unglaublich etwa, welche Vielfalt an Bewegungsmustern allein der mit Menschen aller Altersgruppen beeindruckend besetzte Chor der Vögel schon bei seinem ersten Auftritt, aber auch im weiteren Spielverlauf parat hat. Da gibt es die Neugierigen, die Grimmigen und die Lustigen. Und auch gesanglich entspricht diese bunte Truppe (Chorleitung Isabella Fink, Kostüme Evelyne M. Fricker, Maske Annette Ospelt).  Einfach eine tolle Leistung und ein hohes Maß an Engagement für Amateure! Dies beweist, welche Kräfte die Spielgemeinde Schlins mit ihrem Obmann Albert Amann nach wie vor zu mobilisieren versteht, wenn es um die Umsetzung einer zündenden Idee geht.

Professionelle Besetzung im Zentrum


Im Zentrum agieren professionelle Sing-Schauspieler aus der heimischen Theaterszene, die mit ihrer Erfahrung und Flexibilität viel zum kompakten Handlungsablauf beitragen. Der in kanariengelb gewandete Thomas Hassler ist als Piros eine Art Spielmacher, zusammen mit  Hanno Dreher als Wiedehopf Tereus. In weiteren wichtigen Rollen erspäht man erfreut manche subtil ausgedeutete Charakterstudie, so etwa beim flötenden Poeten Gebhard Berchtel und dem großspurigen Luftvermesser Edi Muther, die besonders die Lacher auf ihrer Seite haben. Man bewundert aber auch die gelenkige Wahrsagerin Elke Maria Riedmann, den würdigen Priester Hannes Speckle, den gestrengen Beamten Roland Steurer, den würdigen Prometheus Roland Ellensohn und den gestrengen Polizisten Albert Rauch. Eine waghalsige akrobatische Einlage in Rot liefert Christine Gruber als Basileia, Teresa Wrann als Nachtigall blockflötet hoch im Nest wunderbare Töne.
Verschiedene Gruppen beleben in dieser bunten Collage in Einlagen das Geschehen, so das aus Konservatoriums-Studenten in der Einstudierung von Benjamin Lack gebildete Gesangquartett der Götter, die aus Schülerinnen des Gymnasiums Bludenz in der Einstudierung von André Vitek rekrutierten Grazien, die reizenden Nestlinge, das rhythmisch so sichere Schlagzeugensemble „Die schrägen Vögel“, Leitung Franz Münsch, und das Ensemble „Tanzufer“ von Ursula Sabatin, die auch für die gesamte Choreografie verantwortlich zeichnet.

Den beiden ist nichts heilig


Gerold Amann, bzw. sein Vorläufer Aristophanes vor zweieinhalbtausend Jahren halten bei alledem als hintersinnige und boshafte Spötter dem Volk den Spiegel vor, nehmen sich kein Blatt vor den Mund. Da ist den beiden nichts heilig, vor allem Gerold. Das Spiel wird zur beinharten Abrechnung mit vielen gesellschaftlichen Normen von heute, mit dem Kräftemessen und den Intrigen der Mächtigen auf Kosten derer, die es sich nicht „richten“ können. Die Kirche mit ihren endlosen Litaneien kommt ebenso nicht ungeschoren weg wie die Politiker, die auch hier, so wie in unserer täglichen Realität, letztlich oft an ihrer nichtssagenden Sprachlosigkeit scheitern. Insofern also ein zeitkritisches Stück von großer Aktualität, wie bei Gerold Amann nicht anders zu erwarten.   
Nach dem großen Hochzeitszug mit Glockengeläute, bei dem nichts anderes übrig bleibt als Schall und (viel) Rauch mit einem gebratenen Truthahn, bleibt die eigentliche Moral von der Geschicht‘ der Fantasie und dem Vorstellungsvermögen jedes Einzelnen überlassen. Und das ist auch gut so. Denn wer vielleicht in der Fülle der Eindrücke nicht immer alle hinterlistigen Anspielungen und tieferen ironischen Deutungen mitbekommen hat, dem bleibt immer noch ein gutes Stück vordergründiger Humor, eine auch oft slapstickartige Situationskomik. „A Hetz“ war es insofern wohl für alle, wie auch die vielen Lacher während der Aufführung, sogar von Kindern, und der minutenlange Schlussapplaus bewiesen haben. Geschmunzelt dürfte man auch über den drei Stockwerken in der allerhöchsten Etage der Wetterküche haben – trotz bedrohlich schwarzer Wolken während der Aufführung fielen die ersten Tropfen punktgenau beim letzten Beifall.


Weitere Aufführungen:
täglich bis 13. Juli
jeweils 21.30 Uhr
Schlins, Burgruine Jagdberg
Dauer ca. 75 Minuten, keine Pause
www.burgspieleschlins.at