Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Annette Raschner · 12. Mär 2014 · Literatur

Literarisches Katz- und Mausspiel - „Schwätzen und Schlachten“ von Verena Roßbacher

Fünf Jahre ist es her, seit die aus Bludenz stammende Schriftstellerin Verena Roßbacher mit „Verlangen nach Drachen“ eines der interessantesten deutschsprachigen Romandebüts des Jahres ablieferte. Die 35-Jährige glänzte darin mit intellektuellem Anspruch, sprachlichen Finessen, kompositorischem Feingefühl und einem ausgeprägten Sinn für Komik. Ein Jahr später beendete ein österreichisches „Alphabet der Indizien“ die Tage der deutschsprachigen Literatur. Verena Roßbacher trat mit einem Auszug aus ihrem damals noch unveröffentlichten Roman „Schwätzen und Schlachten“ beim Ingeborg Bachmannpreis an, sorgte mit einem atemberaubend schnellen und betont manirierten Vortrag für eine Show und erhielt die entsprechende mediale Aufmerksamkeit; Zu einem Preis reichte es jedoch nicht. Jetzt ist „Schwätzen und Schlachten“ im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Lebens- und Liebeshunger


Die „auf Hochtouren laufende Sprachmaschine“ Verena Roßbacher (Zitat Jurorin Karin Fleischanderl bei den Klagenfurter Literaturtagen 2010), Absolventin des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig, denkt offenbar gar nicht daran, ihren Lesern literarische Schonkost zu servieren. Denn auch diesmal wird wieder aufgetischt, was das Zeug hält; Erzählperspektiven werden spielerisch gewechselt, Erzählungen in die Erzählung eingebaut, Sätze abgebrochen, Sinnzusammenhänge ad absurdum geführt, sowie Richtungen eingeschlagen, die sich an den äußersten Rändern der an sich schon sehr losen Romanstruktur befinden. Das üppige literarische „Mahl“ macht Sinn, schließlich sind Roßbachers Figuren von einem schier unstillbaren Hunger getrieben: Einem Lebens- wie Liebeshunger!
Diesmal handelt es sich bei den armen Getriebenen um drei miteinander befreundete, junge Männer, die sich in ihrer Freizeit recht dilettantisch auch als Hausmusiktrio versuchen: Der Österreichflüchtling Stanjic (ein alter Bekannter!) und die beiden Berliner Sydow und Glaser.
Doch anstatt fröhlich miteinander zu tröten, müssen sie sich auf Spurensuche begeben. Denn - so der erste Satz des Romans - da wurde einer umgebracht, was an sich schon blöd genug ist. Noch blöder ist nur, dass sich die drei so gar nicht als Detektive eignen. Stanjic konnte wohl trinken, bloß wurde er davon so enervierend rührselig und so grässlich weinerlich, schlecht, wenn es gilt, wichtige Spuren zu sichern und ausgefuchste Mörder zu stellen. Glaser hatte es eher mit Früchtetee, das darf man sowieso keinem erzählen, und Sydow hätte immer schon gerne eine Frau und hatte nie eine. Und welche Rolle hat dabei die Erzählerin? Sie muss Rede und Antwort stehen! Glauben Sie mir, ich hätte auch lieber einen Holmes ins Rennen geschickt, einen Maigret, man kann sichs nicht immer aussuchen.
Doch - Warnung! - dieser ausgefuchsten, mit allen Wassern gewaschenen Erzählerin darf man rein gar nichts glauben. Ständig lockt sie einen auf falsche Fährten und flunkert lustvoll in einer Tour.
Am Ende von Seite 1 heißt es plötzlich nur noch: Hier wird jemand umgebracht werden. Und auf Seite 14 steht geschrieben: Es würde also einen Mord geben. Es gab Indizien, die ihn ankündigten. Klar! Warum einfach, wenns auch kompliziert geht! Hier steht ein Mord erst bevor und soll verhindert werden. Der im Buch immer wieder auftauchende Lektor Olaf, er spricht einem mit Sätzen wie diesen aus der Seele! Ich bin erschlappt! Ich! In der Erwartung einer sinnvollen kriminalistischen Handlung! Ich denke immer, jetzt passiert gleich was Schlimmes und dann ist wieder nichts!

Unzählige sprachliche Höhenflüge


Nein, dieses Buch gilt es anders anzugehen als andere, denn Verena Roßbacher bricht mit nahezu allen Erwartungen. Wer schon zu Beginn das Gefühl hat, mit den grenzenlos ausufernden, schrill komischen, literarischen Bocksprüngen der Autorin wenig bis nichts anfangen zu können, sollte das Buch vermutlich gleich weg legen. Denn es kommt noch viel, viel dicker!
Wer aber bisherige Leseerfahrungen vergisst und sich auf die unzähligen sprachlichen Höhenflüge, die der Roman zu bieten hat, einlässt, der wird reichlich belohnt. Beispielsweise mit David Stanjics Uetlibergepisode, bei der es zu einem wunderbaren Tête-à-Tête mit Katharina kommt - sie erinnert wohl nicht ganz zufällig an Klara aus „Verlangen nach Drachen“, nach der sich alle Männer verzehrten.
Und das letzte, was ich sah, bevor ich völlig verdattert die Augen schloss, war ein Astronaut, der über mir zwischen den Zweigen einer kanadischen Fichte hing und sich langsam drehte, den Kopf in einem Helm wie einem runden Fischglas. Ich hätte nicht sagen können, war es Armstrong, Gagarin? Das poetische Aquarium um den Astronautenkopf ließ eine genaue Sichtung nicht zu.

Absurdes, Verspieltes, Skurriles, Abwegiges


Verena Roßbacher hat ganz offenkundig eine Affinität zu Absurdem, Verspieltem, Skurrilem und Abwegigem. Was hier besonders reizvoll ist: Man kann ihr während des Lesens beim Denken quasi zusehen. Heißt es eigentlich im Plural Verdachte? Verdächte? Verdachtungen, was denn sonst.
Natürlich muss sich Verena Roßbacher den Vorwurf gefallen lassen, der bereits beim Ingeborg Bachmannpreis geäußert worden war: Dass nämlich ihre Sprache oft keinen Gegenstand erfasst und dadurch ins Leere läuft. ABER: Die Figuren sind derart charmant gezeichnet, dass man sie sofort ins Herz schließt. UND: Wer offenbar sprachlich so aus dem Vollen schöpfen kann wie diese Autorin, der schießt halt auch hin und wieder übers Ziel hinaus. Bei Sätzen wie diesen ist man schnell versöhnt. Er setzte die Brille wieder auf, suchte nach seiner Frau, aber die war auch mit geputzter Brille nicht da.
Doch zurück zum Kriminal. Der Fall ist - eh klar! - komplex und vertrackt. Hinweise auf einen baldigen Mord liefern komische Filme und ein mysteriöser Schlachten-Text. Was also tun? Stanjic hat einen genialen Einfall: Mit einem aperiodischen Muster aus fünf verschiedenen Kacheln soll die Indizienkette geschlossen werden können. In diesem Durcheinander verborgen liegt schon ein Muster, es ist in den Kacheln inhärent, wir müssen es nur legen. Wir müssen es, Kraft unserer Intuition, herausholen und ans Licht bringen, dann haben wir den Konjunktiv eingeholt und können im Jetzt leben.


Verena Roßbacher, „Schwätzen und Schlachten”, 640 Seiten, gebunden, 25,70 Euro, ISBN 978-3-462-04615-1, Kiepenheuer & Witsch 2014