Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Ingrid Bertel · 11. Sep 2018 · Literatur

„Die aus der Reihe tanzen. Eine menschliche Entdeckungsreise“ von Reinold Amann - Rutengänger, Weltensegler, Künstler

Reinold Amanns neuer Fotoband ist eine Entdeckungsreise zu Menschen, die aus der Reihe tanzen. Auf dem ersten Bild hebt Karl Gutschner erklärend den Zeigefinger. Tone Fink öffnet die Hand in einer fragenden Geste. Christine Gruber schwebt an den Ringen und hält die Hand eines kleinen Mädchens, das auf der Schaukel sitzt – fest und zart, die Hand des Kindes von ihrer umschlossen, ihre Finger am Handgelenk des Kindes. Es sind sprechende Hände, die Reinold Amanns Bilder zeigen. Sehr sprechende Hände.

Die Kuhfitterin Nicole Matt sitzt, entspannt eine Zigarette rauchend, in der Stallbox. Zuvor hat sie mit der Konzentration einer Friseurin die Rückenhaare einer Kuh gewaschen, geschnitten, nach oben gestylt und mit der Schere auf Topline gebracht. Ihre Sorgfalt, die Art, wie sie die Schere, die Dose mit dem Glanzspray hält, gleicht jener, die der Weltensegler Odo Scheffknecht an den Tag legt, wenn er das Ruder seines Kanus umfasst. Was diese Menschen aus der Reihe tanzen lässt, ist viel weniger der außergewöhnliche Beruf, das exzentrische Hobby – als die Hingabe, mit denen sie sich einer Sache widmen. 

„den stoff
mit fäden
zu etwas neuem weben
liebe gewordenes handwerk
(handwerk gewordene liebe)
sichtbar machen
mit perlen schmücken
zwischen kühen
besonderes
mit stolz tragen“

Dieses Gedicht ist dem Schneidermeister und Couturier Engelbert Ott gewidmet – und auch die 18 weiteren Portraitierten bekommen von Reinold Amann je ein Gedicht, wortspielerisch, sachte die Zusammenhänge benennend. Mehr biografische Daten gibt es nicht, keine Erklärungen. Die Bilder sollen sprechen, die Gesichter sollen erzählen.
Wer aus der Reihe tanzt, entzieht sich den Regeln des Zusammenlebens, den Werten einer Gemeinschaft, findet etwas, das ihm oder ihr mehr bedeutet. Das kann verletzend sein oder provozierend. Die Menschen, die Reinold Amann portraitiert, haben allerdings eine sanfte, wahrhaft tänzerische Art, auf die Seite zu springen. Kaspanaze Simma lächelt verschmitzt, die Arme im Heu vergraben oder kerzengerade hinter seinem Haflinger hergehend. Pauline Burtscher formt Brote, blickt mit stolzem Lächeln auf die Laibe, schließt sachte die Tür ihres Backofens. Hildegard Breiner hat auf jedem Bild ein waches Auge für ihre Wandergruppe und wirft immer noch einen Blick zurück. Geht es allen gut? Es ist dieser Blick, der uns das Wesen eines Menschen zeigen kann. Was sind dagegen biografische Daten? Reinold Amann hat diese 19 Menschenportraits in Schwarz-Weiß fotografiert. Das schafft Distanz, lenkt den Blick auf Detail und Komposition. Schwarz-Weiß-Bilder entziehen sich dem Wisch-und-Weg-Rhythmus, mit dem wir mittlerweile Bilder konsumieren und machen Amanns menschliche Entdeckungsreise zu einer für die BetrachterInnen.

Reinold Amann, Die aus der Reihe tanzen. Eine menschliche Entdeckungsreise, Verlag Bibliothek der Provinz 2018, 208 Seiten, ISBN: 978-3-99028-709-5, € 34
Buchpräsentation: 18.9.2018, 20 Uhr, Magnussaal Röns