Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Ingrid Bertel · 17. Jun 2015 ·

Blautöne - Cecilia Brandstetters Reisetagebuch „Drosselgesang“

Was Torquato Tasso mit Hohenems zu tun hat, warum Ferdinand I. den Zölibat aufheben wollte und wie Giotto den Realismus entdeckte, davon erzählt Cecilia Brandstetter in ihrem Reisetagebuch „Drosselgesang“.

Sieben Italienreisen unternimmt Cecilia Brandstetter zwischen April 2007 und Juli 2009. Die erste führt in die Toskana. Ihr hatte sie bereits das „Montalcino Tagebuch“ gewidmet, und so kostbar wie dieses Buch präsentiert sich auch der Folgeband: Farbgebung und Leinenbindung, vor allem aber die Wahl der Papiere verdanken sich einer Kennerin. Genießerisch spaziert sie durch das „Museo della Carta e Filigrana“ in Fabriano, erfährt, dass das Papier „als Nebenprodukt der Seidenherstellung in China per Zufall erfunden“ wurde und bewundert die Schöpfrahmen mit den Wasserzeichen, die hier erfunden wurden. Ein Jahr später spaziert sie durch Amalfi und denkt an die Papiermühlen, die früher den Bach säumten, der am Dom vorbeifloss. Papier für Liebhaber wird hier immer noch erzeugt, „seit dem 12. Jahrhundert, seit die Amalfitaner das Papiermachen von den Arabern gelernt hatten“. Torquato Tasso notierte darauf seine Verse. Unter allen Autoren scheint er ihr der liebste. Sinnend betrachtet sie seine Statue in Sorrent: „Sein letztes Sonett widmete Tasso, bevor er ihm in Rom in den Tod folgte, seinem Gönner, dem Landsknechtkardinal Markus Sittikus von Hohenems.“

Drosselgesang


Cecilia Brandstetter ist eine treue Reisende. Einer Drossel gleich kehrt sie zunächst in getupften Strümpfen zurück in ihre Wahlheimat „wie die vielen, die immer wieder nach Montalcino zurückkommen“. Hier ist die Erinnerung an den geliebten Menschen am schmerzlichsten. Sieben Jahre hat Julius gegen die Leukämie gekämpft. Am Ende hat er verloren. Cecilia Brandstetter ringt um Fassung, pflückt Beifuß, „der das Süße und das Bittere in sich birgt“, schnuppert am Lavendel und denkt an die Ägypter, die mit lavendelgetränkten Tüchern ihre Toten mumifizierten. Ihre Trauer hat die Farbe blau, aber auch ihre Sinnlichkeit, ihre Freude, ihre Sehnsucht. „Yves Klein, der im Sand liegend entdeckte, dass der blaue Himmel das größte Kunstwerk sei, hat Domenico Modugno zu „Nel blu, dipinto di blu“ angeregt … und Adriano Celentanos wegen Heiserkeit beim Aufnahmetermin gekrächztes „Azzurro“, komponiert vom heiseren Paolo Conte, wurde 1968 zur heimlichen Hymne Italiens.“

Es ist die Kunst, die diese Frau tröstet. Mit Hingabe studiert sie die Klöster der Toskana, die Gemälde im Vatikan, die „Delizien“ genannten Paläste der D’Este in Ferrara, Caravaggio, Giotto und ein bisschen auch Angelika Kauffmanns stark geschönte Portraits der napolitanischen Königsfamilie. Denn das bietet einmal mehr Grund, sich mit der österreichischen Geschichte zu beschäftigen: Ferdinand I. „Asburgo“ schlug beim Konzil von Trient vor, den Gottesdienst in Volkssprache zu halten und den Zölibat aufzuheben. Bekämpft hat ihn ausgerechnet Francisco Borja, ein Urenkel jenes Borgia-Papstes, „der mit Konkubine und Kindern in den Vatikan einzog …“

Die Kirche kommt nicht gut weg bei dieser wachen, skeptischen Frau. Die Erklärung der Menschenrechte, die Idee von Gleichheit und Freiheit für alle erklärte Pius VI. als „absurde und unsinnigste Idee“, stöhnt sie und trauert auch um ein Land, das bis heute einer großmäuligen, unfähigen politischen Führung zujubelt. Die Folgen sind sichtbar und spürbar. „Omertà, dieses lähmende Schweigen, das wie ein giftiges Spinnennetz Familien, Dörfer und Städte gefangen hält, das zu unterwürfigem Verhalten nötigt, weil niemand für sich alleine handeln kann und das Leben von Angehörigen gefährden würde. Dienen, gehorchen, schweigen, diese unheilige Dreifaltigkeit, die dem Opfer die Schuld zuweist, die das Land lähmt und ruiniert.“

Dennoch bleibt der Genuss, den das Land so verschwenderisch anbietet – mit seiner unglaublichen Küche, seinen Weinen und dem Espresso in einer „Tasse, die so heiß ist, dass sie die Flüssigkeit unter der wolligen Crema zum Verdunsten bringt und die verbliebene Essenz gerade ausreicht, um die Zunge zu benetzen und um im Mundraum ein sich ins Unendliche ausdehnendes Aroma zu entfalten, das mich für einen köstlichen Augenblick lang teilhaben lässt an der Kulturgeschichte des Kaffees von seinen Anfängen in den Bergen Äthiopiens bis zur Meisterschaft der Kaffeeröster in Neapel.“

 

Das Buch „Drosselgesang“ ist im ausgewählten Buchhandel erhältlich oder kann bei Cecilia Brandstetter, Riedergasse 6, 6900 Bregenz bestellt werden. E-Mail: cecilia.brandstetter@bws.ac.at, Telefon: 05574 44594, Preis: € 29,70