Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Karlheinz Pichler · 09. Jän 2017 · Ausstellung

Wo der Berg besonders gefährdet ist - Fotografische Aneignungen von Walter Niedermayr in der Allmeinde Commongrounds in Lech

Nachdem die Lecher Kulturinitiative „Allmeinde Commongrounds“ im letzten Winter unter dem Titel „The Skyspace Lech Project“ Arbeiten des US-Künstlers James Turrell präsentiert hat, steht jetzt das Schaffen des Südtiroler Kunstfotografen Walter Niedermayr im Zentrum. Gezeigt werden Fotografien aus Niedermayrs Zyklus „Raumaneignungen – Lech 2015/16“, der in den vergangenen zwei Jahren entstanden ist.

Die Personen hinter der Kulturinitiative „Allmeinde Commongrounds“ (Gemeinschaftsbesitz) heißen Katia und Gerold Schneider. Sie haben dieses Unterfangen nach der Jahrtausendwende gestartet. Gerold Schneider gehört das traditionelle Lecher Hotel Almhof. Seine Frau Katia ist Architektin und hat einen Stall, der wenige hundert Hangmeter oberhalb des Hotels steht, umgeplant. Herausgekommen ist ein moderner, hölzerner Bau mit steinernem Erdgeschoss. Dieser ehemalige Stall dient der Kulturinitiative als physischer Sitz. In seiner nüchternen, reduzierten Diktion scheint er prädestiniert für das Programm des Hotelier-Ehepaares: Konzerte, Symposien, Performances oder Kunstausstellungen. Was Letzteres anbelangt, so wurden beispielsweise bereits Zeichnungen des 1950 in London geborenen Antony Gormley oder fotografische Werke von Alex Hütte und Margherita Spiluttini zur Schau gestellt. Und mitunter werden Kunstschaffende auch als „Artists in Residence“ eingeladen. So weilten bereits der Objektkünstler Erwin Wurm oder der Komponist Alexander Moosbrugger in der Allmeinde Commongrounds.

Raumaneignungen

Was nun die fotografischen „Raumaneignungen“ von Walter Niedermayr anbelangt, so bezeichnet dieser abstrakte, mehrdeutige Begriff in Bezug auf die Ausstellung in Lech und aber auch hinsichtlich des dazu erschienenen Buches einerseits eine künstlerische Lesart, andererseits Phänomene der Nutzung alpinen Territoriums.

Die alpinen Regionen haben sich durch das Vorpreschen des Winter- und Sommertourismus im Zuge der letzten Jahre und Jahrzehnte stark gewandelt. Aufwändige Infrastrukturen prägen die Landschaften. Der Umgang mit Landschaft hat sich verändert. Statt Gemsen, Steinböcken und Murmeltieren kraxeln und bewegen sich immer mehr Menschen durch die einst einsamen und entrückten Räume. Und die Berglandschaft wird immer mehr von technischen Verbauungen wie etwa Liftanlagen, Seilbahnen und Lawinenverbauungen strukturiert. Niedermayr fotografiert diese auch gerne im Sommer, wenn kein Schnee mehr liegt. „Da sehen sie noch deplatzierter aus, sie sind ihrer Funktion beraubt und haben eine ganz andere Wirkung: wie Fremdkörper,“ sagt der Südtiroler, der seit 2011 als Dozent für künstlerische Fotografie an der Fakultät für Design und Künste der Freien Universität Bozen tätig ist. Niedermayr richtet den fotografischen Blick darauf, wo der Berg besonders gefährdet ist.

Dunkelheit lässt die Dinge verschwinden


Neben Werkgruppen wie „Artefakte“, „Rohbauten“ (Shell Constructions) oder „Raumfolgen“ (Space Con / Sequences) sind die „Alpinen Landschaften“ (Alpine Landscapes) das zentrale Themenfeld Niedermayrs. Neben dem jetztigen Lech-Projekt hat er bereits exemplarische fotografische Alpinuntersuchungen etwa zum innerschweizerischen Titlis-Massiv oder zur Region rund um den Skiort Aspen im US-Bundesstaat Colorado vorgelegt.

 

Ein Markenzeichen in allen Bildern Niedermayrs ist das ästhetische Stilmittel der Überbelichtung. Die Helligkeit sticht aus allen Fotografien hervor. Farbe, Licht und Raum sind bei ihm immer die verbindenden Kriterien. Das Licht scheint mit der Natur geradezu zu verschmelzen. Nach Ansicht des Südtirolers lässt Dunkelheit die Dinge verschwinden, Helligkeit hingegen mache sie sichtbar und zugleich reduktiv. Das heißt, dass Schatten und Konturen im Bild gleichsam verschwinden. Dadurch wirken Niedermayrs Fotografien oft zweidimensional, obwohl Landschaften ja dreidimensional sind. Und die Personen erscheinen, als ob sie ausgesetzt wären, wie Marionetten oder wie unregelmäßig verteilte Zuckersträussel auf einem Kuchen.


Bei den „Raumaneignungen“ von Lech handelt es sich wie bei den anderen alpinen Landschaften zumeist um Orte, in denen zuhauf Menschen vorkommen, die in der Landschaft etwas machen, sie besetzen und gestalten. Für Niedermayr gibt es keine Naturlandschaften mehr, sondern nur noch Kulturlandschaften. Seine Arbeiten beziehen sich folglich auf gesellschaftliche Prozesse, legen die Instabilität der Systeme im Raum offen und verweisen auf soziale und politische Abläufe. Er setzt die Landschaft von der Nutzung bis zur Aneigung und Ausbeutung ins Bild. Aber ohne zu werten und zu richten. Und dies mit atemberaubender Ästhetik. Verbauungen, Geräte und auch Menschen erscheinen im verbindenden Licht wie grafische Elemente.

Unter dem Titel „Aneignen“ ist auch rechzeitig zur Ausstellung ein neues Buch über die Arbeit Niedermayrs entstanden. Die Publikation, die im renommierten Hatje Cantz Verlag erschienen ist, enthält 39 Fotoserien des Fotokünstlers, einen Essay von Catherine Grout sowie ein Gepräch von Walter Niedermayr mit den Herausgebern Katia und Gerold Schneider und Arno Ritter.

 

Walter Niedermayr: Raumaneignungen – Lech 2015/16
Allmeinde Commongrounds, Lech, Tannberg 394
Bis 17.04.2017
Mittwoch bis Sonntag, jeweils 15 bis 18 Uhr
oder nach tel. Vereinbarung
www.allmeinde.org