Das Nederlands Dans Theater 2 beim Bregenzer Frühling (Foto: Udo MIttelberger)
Michael Löbl · 17. Jul 2023 · Musik

Von Händel bis Armstrong

Zwei weitere Konzerte mit dem Pianisten Kit Armstrong bei der Schubertiade Hohenems

15. Juli, Samstag Nachmittag, kurz vor 16 Uhr. Gnadenlos brennt die Sonne vom Himmel, das Thermometer passiert locker die 37-Grad-Grenze, man denkt an ein kühles Getränk im Schatten oder an einen Sprung irgendwo ins erfrischende Wasser. Nicht so sehr an ein Klavierrecital. Fazit aber ist: Wer nicht dabei war, hat etwas versäumt.

Es gibt ja grundsätzlich zwei Möglichkeiten, Klaviermusik aus der Zeit von Couperin bis Mozart auf einem modernen Konzertflügel zu spielen. Entweder man respektiert den eingeschränkten Lautstärkebereich und die reduzierte Verwendung des Pedals der alten Instrumente und passt sein Spiel dementsprechend an oder aber man reizt alle Möglichkeiten des Flügels aus und hofft auf himmlische Vergebung. Wobei die meisten Komponisten von einem guten Bösendorfer oder Steinway sehr wahrscheinlich begeistert gewesen wären.
Zu Beginn von Kit Armstrongs Konzert ist noch nicht ganz klar, wohin die Reise geht. Die ersten beiden Sätze der Sonate in E-Dur klingen relativ verhalten, im Finale wird der herrliche und wie immer perfekt intonierte Schubertiade-Steinway zum ersten Mal gefordert. Auf Haydn folgt das nächste Stück in der Tonart E-Dur, nämlich die fünfte der Suiten von Georg Friedrich Händel.
Georg Friedrich Händels Werke für Tasteninstrumente führen im Vergleich zu den Werken J.S. Bachs ein Schattendasein. Händel schrieb alleine 16 große Suiten, dazu Partiten, Sonaten und zahlreiche Einzelsätze. Die Nr. 5 ist wegen ihres Schlusssatzes die bekannteste. Es handelt sich um Variationen über ein Thema mit dem Titel „The Harmonious Blacksmith“. Im Laufe dieses Satzes geht es dann aber richtig zur Sache, Kit Armstrong erhöht die Dynamik von Variation zu Variation bis zu einer gewaltigen Schlusssteigerung. Spätestens jetzt ist klar – gesäuselt wird nicht mehr. Das gilt auch für die folgende Haydn-Sonate in e-moll. Deren Finalsatz klingt bei Kit Armstrong fast schon wie Beethoven. Pianistisch ist das ganz große Klasse. 

Ein musikalisches Genie

Der Künstler hat dankenswerterweise sträflich vernachlässigte Klavierwerke wie die Klaviersonaten von Joseph Haydn und Händels Suiten auf das Programm gesetzt, musikalische Juwelen, die viel zu selten zu hören sind. Kit Armstrong ist Pianist und Komponist, ein Hochbegabter, der neben Klavier am Curtis Institute in Philadelphia und an der Royal Academy in London auch Mathematik am Londoner Imperial College studiert hat. Bei der Schubertiade ist er seit 2009 regelmäßig zu hören. In diesem Jahr wirkte er in insgesamt vier Programmen mit. Sein langjähriger Lehrer und Mentor Alfred Brendel bezeichnete ihn als „die grösste musikalische Begabung, der ich in meinem ganzen Leben begegnet bin.“  
Waren im ersten Konzertteil Kreuztonarten (E-Dur und e-moll) bestimmend, kamen nach der Pause B-Tonarten von c-moll bis Ges-Dur ausgiebig zum Zug. Zunächst Mozarts ergreifendes Adagio und Allegro KV 594, komponiert als Auftragswerk für eine mechanische Flötenuhr. Es wird oft und gerne in verschiedenen Versionen aber auch in verschiedensten Besetzungen von Orgel bis Bläserquintett aufgeführt. Kit Armstrong bewies, dass dieses Werk auch auf dem Klavier hervorragend klingt. Nicht im Programmheft stand, dass er den Zuhörern noch ein weiteres Stück schenkte, quasi als Bonustrack, nämlich – nahtlos anschließend – die Fantasie KV 608 (ebenfalls für eine Flötenuhr und ebenfalls in f-moll).    

Alfred Brendel, Lehrer und Mentor

Letzter Programmpunkt: Schubert. Und zwar seine vier Impromptus D 899. Schon das erste Impromptu ließ aufhorchen. Dieses Stück kann wegen seiner vielen Wiederholungen des Themas sehr leicht langweilig werden. Kit Armstrong wählt ein ungewöhnlich schnelles Tempo und spielt das Thema in einem knackigen Staccato, was dem Werk eine ganz neue Frische verleiht. Insgesamt gelingt ihm eine faszinierende Interpretation der Impromptus, den Schluss des zweiten spielte er dermaßen grandios, dass sich das Publikum zu einem spontanen Zwischenapplaus hinreißen ließ. Kit Armstrong nutzte die so entstandene kurze Pause für eine Ansprache in makellosem Deutsch. Das nun folgende Impromptu in Ges-Dur war das letzte Musikstück, das sein Mentor Alfred Brendel öffentlich gespielt habe. 15 Jahre sei das jetzt her, und Kit Armstrong hat es seither weder gehört noch selbst gespielt. Darum sei es für ihn sehr bewegend, dieses Impromptu jetzt bei der Schubertiade aufzuführen.
Das Publikum verlangte nach Zugaben und Kit Armstrong wählte weder Schubert noch Haydn, Mozart oder Händel sondern: Frédéric Chopin! Nun sind wieder die Kreuztonarten an der Reihe, zu hören sind die beiden Etüden in cis-moll op. 25/7 und op. 10/4. Das kann er also auch, und es gibt vermutlich keine bessere Therapie, um seine zehn Finger fit zu halten, als die höllisch schnelle und technisch vertrackte Etüde Nr.4 aus op. 10. Kit Armstrong hat sie absolut brillant gespielt.

Eine eigene Komposition als Zugabe

Leicht grauer Himmel und daher perfektes Konzertwetter am folgenden Sonntagvormittag. Nun ist Kit Armstrong Kammermusikpartner des Aris Quartetts, das mit diesem Auftritt sein Schubertiade-Debüt gibt. Achtung! Verwechslungsgefahr mit dem Armida Quartett, das ebenfalls aus Deutschland kommt, ebenfalls Preisträger beim ARD-Wettbewerb in München war und ebenfalls in das Projekt ECHO Rising Stars aufgenommen wurde. Mit Schuberts „Rosamunde“-Quartett begibt sich das Ensemble mitten in die Höhle des Löwen, denn dieses Werk haben alle großen Quartette von Alban Berg bis Ébène bereits mehrmals im Rahmen der Schubertiade gespielt. Wie nicht anders zu erwarten, ist die Interpretation des Aris-Quartetts makellos. Hochmusikalisch loten die vier Streicher jeden Ton, jede harmonische Wendung aus, unterstreichen musikalische Schattierungen durch Änderung der Klangfarbe, besonders der Effekt des Non-Vibrato wird regelmäßig eingesetzt. Es gibt an diesen liebevoll gestalteten Details überhaupt nichts auszusetzen, noch mehr soll es allerdings nicht mehr werden, um nicht an die Grenze des Lehrerhaften zu stoßen.
Im zweiten Teil stand Johannes Brahms' Klavierquintett in f-moll mit Kit Armstrong am Flügel auf dem Programm. Bereits bei seinem Klavierrecital am Vortag konnte man es feststellen: Dieser Pianist kann einen unglaublichen Energieschub aktivieren, mit dem er nicht nur das Publikum, sondern nun auch seine Musikerkolleg:innen mitreißen kann. Im dritten Satz des Quintetts entwickelten die fünf Partner:innen auf der Bühne einen musikalischen Sog, der eigentlich schon wieder einen Zwischenapplaus verdient hätte. Nach der eindrucksvollen Wiedergabe von Brahms' op. 34 lernten wir dann auch noch den Komponisten Kit Armstrong kennen. Als Zugabe servierte man einen Satz aus seinem Klavierquintett. Das ist musikalisch überzeugend und originell, Anklänge an Minimal Music und György Ligeti waren deutlich zu vernehmen. Es wäre durchaus interessant, einmal das ganze Stück zu hören. Vielleicht demnächst bei der Schubertiade?  

www.schubertiade.at
www.kitarmstrong.com