Vom Abenteuer im Paradies
In „Der Bücherfreund“ schreibt Monika Helfer über ihren Vater und seine Liebe zur Literatur
Mehrmals hat Monika Helfer in ihren Büchern auf ihre eigene Familiengeschichte zurückgegriffen und mit den autofiktionalen Erzählungen internationale Bestseller gelandet. Mit dem 2021 erschienenen Roman „Vati“ wurde sie für den Deutschen Buchpreis nominiert. Darin erinnert sie sich an ihren Vater Josef, der in ärmlichen Verhältnissen als uneheliches Kind einer Magd geboren und vom Pfarrer in ein katholisches Schülerheim nach Salzburg geschickt wurde. Noch vor der Matura zieht er als 17-Jähriger in den Krieg, verliert einen Unterschenkel und lernt im Lazarett seine spätere Frau kennen. Traumatisiert flüchtet er sich in die Literatur. Doch dann verliert er neben der Existenzgrundlage auch seine Frau und verschwindet zunehmend aus der Familie.
In „Der Bücherfreund“ hat die Autorin die Geschichte ihres Vaters und vor allem seine Bücherbesessenheit in einer illustrierten Version nun noch einmal neu erzählt. Aber anders als in „Vati“ geht es vorrangig nicht um die biografischen Details oder einen Versuch, das Leben des Vaters zu rekonstruieren, sondern um die von der ganzen Familie geteilte Leidenschaft fürs Lesen und Vorlesen, um das gemeinsame Abenteuer, Bücher zu retten und darum, den Vater aus einer kindlichen Perspektive heraus begreifbar zu machen.
Aus kindlicher Perspektive
Helfer schreibt vom Glück und Unglück ihrer Eltern, vom Krankenhaus, dass „wie im Himmel war“, weil die Krankenschwester ihn liebte und vom Kriegsopfererholungsheim, in dem das Mädchen ihre erste Kindheit verbrachte und wo die Männer abends sangen. Der Krieg war vorbei, „und hier oben auf dem Berg war das Paradies.“
Inhaltlich gibt es so einige Überschneidungen, die Familie bleibt schließlich die gleiche, nur ist es diesmal eine zehnjährige Monika, die den Leser:innen in kurzen Sätzen von den Umständen ihres Vaters erzählt. „Er schlief ein, und sein rechtes Bein erfror ... Das geschah vor vielen Jahren in Russland.“ In einer fast märchenhaften Sprache werden die Gegebenheiten eines Lebens abgehandelt, schnell und unmissverständlich und manchmal auch wage. In einfachen Erklärungen schreibt Helfer über den Krieg, das Sterben und was daraus folgt, aber vor allem werden die zwischenmenschlichen Feinheiten und die erheiternden Momente des Alltags geschildert, die immer wieder mit Büchern in Verbindung gebracht werden. Es ist ein idyllisches Leben. „Fast alles war zu dieser Zeit gut. Es ging rasant aufwärts.“
Das Mädchen beschreibt eine Kindheitswelt, in der die Mutter mit Tieren spricht und regelmäßig im Krieg „beschädigte“ Invalide zu Besuch kommen und sich oben in den Bergen erholen. Es gibt eine Bibliothek aus geschenkten Büchern, die wie Soldaten aussortiert werden müssen, „um viele zu retten“. Monika wird dabei zur „Komplizin“ ihres Vaters, durchschaut ihre Eltern, wiederholt sich manchmal und kommt immer wieder auf ihre Rolle als Erzählerin zurück: „Ich soll ja nicht von mir erzählen, sondern von unserem Vati und einem gewissen Ereignis.“ – Ein Ereignis, das in „Der Bücherfreund“ von verratenen Geheimnissen und im Wald vergrabenen Büchern handelt, während es dem Vater in „Vati“ aber zum Verhängnis wurde.
Spannungsvoll illustriert
Passend zu dieser gedankenreichen Erzählung aus der Sicht eines Kindes, hat die 1968 geborene Illustratorin Kat Menschik Szenen aus dem Buch zeichnerisch festgehalten. In fantasievollen Bildkompositionen lässt sie Hauptmomente aus Helfers Geschichte auf düstere Weise und in kalten Farben zusammenwirken und hebt dabei kleine Details hervor, die in geheimnisvollen Bildausschnitten die Handlung noch verstärken. Menschik lebt in Berlin, hat unter anderem Bücher von Haruki Murakami illustriert und zählt zu den erfolgreichsten Illustratorinnen Deutschlands. Zuletzt veröffentlichte sie in der Reihe Illustrierte Lieblingsbücher „Tomaten“ (2022) und die von ihr bebilderte Erzählung „Das Haus verlassen“ von Jacqueline Kornmüller (2024).
Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Februar 2025 erschienen.
Monika Helfer: Der Bücherfreund, Illustriert von Kat Menschik, Hanser Verlag, München 2025, 80 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-446-28273-5, € 22,70