Neu in den Kinos: „The Substance“ (Foto: Mubi)
Silvia Thurner · 30. Sep 2024 ·

Vielsagend die Grenzen geöffnet

Der Kontrabassist Florentin Ginot bei den Bludenzer Tagen zeitgemäßer Musik

Der französische Kontrabassist Florentin Ginot zählt international zu den interessantesten Persönlichkeiten der aktuellen zeitgenössischen Musikszene. Er ist ein kreativer Klangforscher auf seinem Instrument, interpretiert neue Werke mit außergewöhnlichen Spieltechniken, spielt mit analogen Synthesizern und elektronisch generierten Klängen und setzt seine Musik mit allegorischen Bilderwelten in Beziehung, die interaktive Verbindungen zwischen Bild und Ton eingehen. Sein Auftritt im Rahmen der Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik stieß auf großes Interesse und bot spannende musikalische Erfahrungen.

Florentin Ginots Auftritt war zweigeteilt. Im ersten Set konnte mit Solowerken von Rebecca Saunders, Stefano Scodanibbio und Georges Aperghis die spieltechnische und musikalische Souveränität des Musikers bestaunt werden. Danach trat der Kontrabassist in einen assoziationsreichen Dialog mit elektronischer Musik und der Filmkunst von Janet Sinica.
Sogleich Rebecca Saunders Stück „Fury“ regte die Sinne an. Der fünfsaitige Kontrabass diente als feinsinniges Melodieinstrument und dessen Griffbrett als ausdrucksstarke perkussive Spielfläche. Verbunden mit der skordierten Basssaite entwickelte sich eine mitreißende Musik. 
Ganz andere Tonqualitäten zeichnete die „Studie 6: Farewell“ von Stefano Scodanibbio aus. Wie auf einer arabischen Ud klang der sensibel gezupfte Kontrabass, indem Florentin Ginot die Tonhöhen bis in hohe Regionen führte und in einen geistreichen Dialog auf dem in zwei Tonhöhenregionen geteilten Kontrabass trat. 
Gegenbewegungen zwischen suchenden Gesten, Stimmlauten und rhythmisierten Klängen zeichneten Georges Aperghis‘ „Obstinate“ aus. Besondere Aufmerksamkeit lenkten dabei die humorvoll animalisch wirkenden Passagen auf sich. Dass Florentin Ginot sein Spiel als musikalische Interaktionen auf seinem Kontrabass versteht und dabei die körperliche Beziehung zwischen ihm als Spieler und dem Instrument ganz bewusst in Szene setzt, kam faszinierend zum Ausdruck.

Assoziative audiovisuelle Wanderung

Bild, Film, elektronische Musik, Live-Electronik und Instrumentalmusik setzte Florentin Ginot in seinem Erstlingswerk als Komponist miteinander in Beziehung. „Disturbance“ entstand während eines Aufenthalts im Rahmen des AIR-Programms in Krems im Frühjahr 2024. Als Ausgangspunkte für die vielgestaltigen Bilderwelten dienten dem Komponisten die Filmarbeiten „Dead trees give no shelter“, sowie „Listen Nr. 2 und Nr. 3 “, „Ice“ und „Blue & Gray“ von Janet Sinica.
Der Werktitel war zugleich Programm, denn die dichten in Musik gesetzten Bilder wurden durch unterschiedliche Aktionen „gestört“ oder unterbrochen und in neue Wirkzusammenhänge gestellt. Klanggewaltig setzte Florentin Ginot auf ein großes Spektrum an akustischen Feldern, die raumgreifend über Lautsprecher die Remise füllten. Reflexionsflächen setzte der Komponist durch Klanginseln, in deren Rahmen er solistisch den Kontrabass bespielte. Die ausgeklügelten Klangballungen mit sehr rasch aufeinanderfolgenden Schnitten sowie Tieftönern und hohen Frequenzen „flashten“ zeitweilig, wirkten aber durch ihre Dauer auch überfordernd und sogar aufdringlich. Doch als Ganzes erlebt, regten die elektronischen Klangbänder und Livezuspielungen der Synthesizer im Zusammenwirken mit spektakulären Bildprojektionen sowie holografischen Effekten die Fantasie an und ließen vielfältige Assoziationen entstehen. 

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