Stell dir vor, es ist Krieg und niemand geht hin
„Zeitstillstand“ im TAK Theater Liechtenstein
Bei Katrin Hilbes Inszenierung des Stücks „Zeitstillstand“ von Donald Margulies geriet das TAK in einen Zeitstillstand und erinnerte an jene Zeiten, in denen Stücke im TAK noch aufrüttelten und zum Nachdenken anregten. Vier Personen stehen auf der Bühne mitten im Leben und sind doch gleichzeitig mitten drin im Publikum. Denn alle kennen die Nöte, Ängste, Hoffnungen und Bedürfnisse dieser Bühnenmenschen. Es sind existentielle Fragen und zugleich öffentliche Fragen der Wahrnehmung.
Auf der Bühne ein riesiges Sofa aus Sandsäcken – Schutz und Kuscheleinheit zugleich. Auch das übrige Mobiliar beschränkt sich auf das Nötigste. Ausstatter Alexander Grüner hat gute Arbeit geleistet und gibt den zwei Männern und zwei Frauen jeglichen Raum zur Entfaltung. Und sie nutzen ihn.
Zum Inhalt: Die amerikanische Fotojournalistin Sarah Goodwin (Franziska Geyer) und ihr Lebensgefährte, der Kriegsreporter James Dodd (Georg Melich) kehren von einem Einsatz zurück – beide verletzt, Sarah ist nur knapp dem Tod entronnen und äußerlich an Fuss, Arm und Gesicht verletzt, ihr Freund ist vor allem innerlich verletzt. Sie bekommen Besuch von Sarahs Redakteur Richard Ehrlich (Oliver Reinhard), einem alten Haudegen, und seiner jungen Freundin, der Eventplanerin Mandy Bloom (Jessica Matzig). Und schon prallen die Welten aufeinander. Während im ersten Teil der Inszenierung diese Welten differenziert aufgezeigt werden, entwickeln sie sich im zweiten Teil ganz anders als gedacht. Soviel vorweg: Es gibt kein Happyend für alle, aber für jeden einen ureigenen Neubeginn.
Wer will was vom und im Leben?
Die Inszenierung von Katrin Hilbe ist gründlich durchdacht und ebenso bis ins kleinste Detail erarbeitet. Da putzt Sarah noch rasch die Linse ihrer Kamera, die ihr einst von einer blutenden Frau verschmiert wurde, bevor sie zu einem neuen Einsatz aufbricht. James erlaubt sich einen legeren Hausanzug und eine Freundin mit Sohn und bekennt sich so zu seiner Entscheidung, die mordende Außenwelt nicht mehr zu dokumentieren. Die junge Mandy hat ihr Kind zur Welt gebracht und will nur noch Mutter sein, was für ihren um viele Jahre älteren Mann Richard höchst ungewohnt ist. Das Publikum darf diese Entwicklung in kurzen Sequenzen miterleben, wobei alle vier Schauspieler:innen ihre Personen bis ins Innerste glaubwürdig darstellen.
Wir und die mediale Welt
An diesem TAK-Abend werden aber nicht nur die Schicksale von vier Menschen aufgezeigt, es werden auch grundsätzliche Fragen an das Publikum gestellt: Welche Medien produzieren warum welche Inhalte und von wem werden sie gelesen? Wie relevant sind Nachrichten aus den Kriegsgebieten? Und welche Verantwortung haben die Berichterstatter. Alles nur Dokumentation? Oder auch Manipulation? Das erinnert zum Teil an Sprüche wie: „Stell dir vor, es ist Krieg und niemand geht hin“, eine Parole der deutschen Friedensbewegung aus den 80er Jahren.
Diesen „Zeitstillstand“-Theaterabend verlässt niemand ohne Fragen an sich selbst und an die Gesellschaft. Denn auch der Eigenkonsum von medialen Aufbereitungen steht zur Debatte, wie auch die Nachbereitung via Social Media und Co. Wir alle können den Medien nicht entrinnen, wir können uns aber wie Mandy oder James in die Privatsphäre zurückziehen. Oder wie Sarah den Job weitermachen, denn der Beruf der Kriegsfotografen hat auch eine spezielle Verantwortung. Ihre Arbeit wendet sich gegen das Vergessen, und das unter der Gefährdung des eigenen Lebens, denn im Krieg sind alle Soldaten, auch die Berichterstatter. Wie wichtig ist das Dabeisein bei Kriegen und Krisen? Verändert es den Lauf der Dinge? Oder nur die Personen selbst? Ist es also ein Ego-Trip?
Weitere Vorstellungen:
Do, 20.11., Mi, 3.12., jeweils 19.30 Uhr
Einführung jeweils um 18.50 Uhr
TAK Theater Liechtenstein, Schaan
www.tak.li