Quand vient l'automne - Wenn der Herbst naht (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Füssl · 04. Nov 2025 · CD-Tipp

Shuteen Erdenebaatar & Nils Kugelmann: Under the Same Stars

Gleich die ersten Takte des Albums und des Stückes „Mirror Under Water“ lösen einen melancholischen Bilderreigen im Kopf aus und entwickeln einen meditativen Sog, in den man sich beglückt und neugierig hineinziehen lässt. Klassisch inspirierter Chamber-Jazz, gepaart mit einer ordentlichen Prise Neo-Klassik à la Einaudi. Wie wunderbar doch die perlenden Piano-Läufe und die selten zu hörende, dunkle, hölzern klingende, warme Kontra-Alt-Klarinette harmonieren, sich umgarnen, gemeinsam in Melodienseligkeit schwelgen. Angesichts der sich wechselseitig inspirierenden Duo-Arbeit ist es wenig verwunderlich, dass die beiden auch privat ein Paar sind. Die Rede ist von der 27-jährigen Pianistin Shuteen Erdenebaatar aus Ulan Bator und dem 29-jährigen als Kontrabassist bekannt gewordenen Nils Kugelmann aus München.

Tausende Kilometer Luftlinie voneinander entfernt musizierten beide seit frühester Kindheit und genossen schon früh einen Wunderkind-Status, den sie mühelos ins Erwachsenenleben herüberretteten – einmal mit erfolgreichen Studien an der Hochschule für Musik und Theater München, wo sie sich auch kennenlernten, und dann mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen für Aufsehen erregende Alben. Neben dem erwähnten Opener stammen noch weitere fünf Nummern aus der Feder Erdenebaatars, die sich selbst „als Brückenbauerin zwischen den Welten – zwischen Ost und West, Klassik und Jazz, Tradition und Moderne“ definiert. „Mystery of the Woods“ entführt in die mit einer mysteriös prickelnden, sich immer wieder wundervoll auflösenden Spannung unterlegte Ruhe des Waldes. Wohltuende Zeitlosigkeit in romantischer Jazz-Attitüde strahlt „Whispers Beyond Time“ aus, das der als brillanter Altsaxophonist bekannte Jakob Manz auf der Altblockflöte veredelt. lm quirligen „Stars Among Us“ und im wie ein neugieriger Spaziergang in die Jazzhistorie klingenden „Road Ahead“ zupft Kugelmann den Kontrabass so meisterhaft und impulsiv, wie wir es von den exzellenten Trio-Aufnahmen auf seinen ACT-Alben „Stormy Beauty“ (2023) und „Life Score“ (2025) her kennen. „Desert Dream“ gibt die aufgewühlte Faszination der Pianistin wider, als sie zum ersten Mal in der Wüste Gobi stand, in der ihr Vater, ein mongolischer Opernregisseur, aufgewachsen war. Die vier Kugelmann-Kompositionen fügen sich perfekt in Shuteen Erdenebaatars Konzept ein, wobei bemerkenswerterweise ausgerechnet sein ungemein stimmungsvolles Stück „What Will Remain“ am meisten mongolische Atmosphäre verströmt, was dem virtuosen Dalaijargal Daansuren auf der Morin Khuur, der mongolischen Pferdekopf-Geige zu verdanken ist.



Kugelmanns „Train to the Past“ kombiniert Melancholisches mit flirrenden Erinnerungsfetzen und wundervolle Piano-Läufe mit warm dahinströmenden Kontra-Alt-Klarinetten-Läufen. Den „Tiny Wonders“ huldigt er dann wieder auf dem Kontrabass und mit „Maybe the Clouds“ porträtiert er verträumt am Fenster vorbeiziehende Wolken. Das Duo-Album „Under the Same Stars“ ist der Mittelteil einer von Shuteen Erdenebaatar geplanten Trilogie, deren erster, hochgelobter, im Quartettformat realisierter Teil „Rising Sun“ 2023 erschienen ist. Und ebenfalls beim renommierten kalifornischen Jazz- und Worldmusic-Label Motéma Music wird 2026 auch der dritte Teil, das mit Kammerorchester eingespielte Album „Beyond the Moon“ erscheinen. Auf diesen Abschluss von Erdenebaatars ambitioniertem Werkzyklus darf man jetzt schon gespannt sein, aber ihr  gleichermaßen poetisches wie emotionsgeladenes Duo-Album wird uns jetzt erstmals oft gespielt durch den Herbst und Winter begleiten.

(Motéma Music/Harmonia Mundi)

Konzert-Tipp: Shuteen Erdenebaatar wird mit ihrem Quartett, bei dem Nils Kugelmann den Bass zupft und das 2024 den Deutschen Jazzpreis als „Bestes Ensemble“ erhielt, am 20.2.2026 beim jazzambach Festival in Götzis zu hören sein.