Schwiegersöhne in Schwarzenberg
Klavierabende mit David Fray und Igor Levit bei der Schubertiade
Zwei sehr unterschiedliche Pianisten waren letzte Woche im Rahmen der Schubertiade Schwarzenberg zu erleben: David Fray am Donnerstag und Igor Levit am Samstag. Ein sehr interessanter Kontrast, der zeigte, welche Klangunterschiede von verschiedenen Musikern aus ein und demselben Flügel herauszuholen sind.
Der Franzose David Fray, seit fünfzehn Jahren Stammgast bei der Schubertiade, ist – siehe Titel – der Schwiegersohn des Dirigenten Riccardo Muti. Sein Auftreten erinnert ein wenig an den legendären kanadischen Pianisten Glenn Gould, vor allem weil er ebenfalls einem ganz normalen Holzstuhl mit Lehne den Vorzug gegenüber dem sonst üblichen Klavierhocker gibt. Pianistisch sind sich Fray und Gould weniger ähnlich, die Musik von J.S. Bach steht aber bei beiden im Zentrum ihres Repertoires. Während Glenn Gould messerscharf artikuliert und die Struktur der einzelnen Stimmen glasklar herausarbeitet, ist David Fray ein Klangzauberer, ein Poet am Flügel, der sich agogische Freiheiten nimmt, ab und zu Pausen verlängert und der Musik dadurch einen improvisierten Charakter verleiht.
Die angekündigte „Kreisleriana“ von Robert Schumann hat er gegen Franz Schuberts „Wandererfantasie“ D 760 ausgetauscht, wodurch ein reines Schubert-Programm entstanden ist. Sowohl die beiden Einzelstücke (Allegretto D 915 und Klavierstück 946/2) als auch die Impromptus D 899 spielte David Fray sehr gesanglich, mit großer Freiheit und wunderbaren Klangfarben. Sein Klavierklang ist abgedunkelt, manchmal fast verschleiert. Darum wirken technisch schnelle Passagen wie im Es-Dur Impromptu oft ein wenig undeutlich und verschwommen. Im zweiten Teil des Konzertes gelang ihm eine wirklich faszinierende Wiedergabe von Schuberts „Wandererfantasie“. David Fray bringt die vielen Forte-Akkordketten zum Klingen, er dunkelt sie ein und integriert sie organisch in den musikalischen Fluss. Auch das etwas plakativ-virtuose Finale bleibt bei ihm klanglich stets kontrolliert.
Zwei Tage später dann Igor Levit. Zunächst Äußerliches. Seit es den Frack als Konzertkleidung fast nicht mehr gibt, haben sich zahlreiche Outfits für Dirigenten und Solisten etabliert. Manche sind besser, manche weniger gut. Das seltsame Jäckchen von Igor Levit gehört eher in die zweite Kategorie. Auch der Pianist schien sich darin nicht so richtig wohlzufühlen. Da er die beiden Stücke des zweiten Teils ohne Pause ineinander fließen ließ, hatte er keine Möglichkeit, seine Stirn vom Schweiß zu befreien. Daher musste jede Gelegenheit genutzt werden, um bei Passagen, in denen nur eine Hand beschäftigt ist, entweder mit links oder rechts die angesammelte Flüssigkeit loszuwerden um sie anschließend wohl oder übel auf den Tasten zu verteilen. Nur gut, dass der nächste Pianist, der diesen Flügel benutzt hat, wieder Igor Levit gewesen ist, in einem Kammerkonzert am Sonntagvormittag. Bis zur nächsten Schubertiade im Juni sollte sich bitte jemand erbarmen und die Tastatur dieses wunderbaren Steinway-Flügels gründlich reinigen.
Ein Ausnahmepianist
Igor Levit ist ein Musiker es öffentlichen Lebens, politisch engagiert und präsent in allen Medien. Preise und Auszeichnungen säumen den Weg dieses Ausnahmepianisten und seine Einspielung der 32 Beethoven-Sonaten genießt Kultstatus. Vor zehn Jahren war er mit diesem Zyklus übrigens auch bei der Schubertiade zu hören. Gerne und oft setzt er sich für Werke exotischer Komponisten wie Ronald Stevenson oder Frederic Rzewski ein. Sein Klavierklang strahlend und brillant, mit markanten Bässen und glasklarer Artikulation im Diskant.
Was hat Igor Levit bewogen, die Choralvorspiele op. 122 von Johannes Brahms an den Beginn seines Programmes zu stellen? Es sind Brahms‘ letzte Kompositionen, entstanden im Jahr vor seinem Tod. Ursprünglich für die Orgel geschrieben, würden sie auf diesem Instrument in einem Kirchenraum wahrscheinlich eine ganz andere Wirkung erzielen als in der Klaviertranskription von Ferrucio Busoni. Auf dem Flügel wirken die protestantischen Kirchenlieder etwas eintönig, alle sind in mäßigem Tempo und auch in ihrer einfachen Harmonik weit weg von Brahms‘ Meisterwerken aus seiner Blütezeit. Immerhin konnte man zwanzig Minuten lang Igor Levits subtile Anschlagskultur bewundern.
Anschließend ein Auftragswerk, das Igor Levit beim amerikanischen Jazzpianisten Fred Hersch bestellt hat: „Songs Without Words“, Book II. Sechs nette Stücke, ein bisschen belanglos, als Rausschmeißer am Schluss ein origineller brasilianischer Ragtime.
Schwiegersohn II
Nach der Pause zunächst das berühmte Vorspiel zu „Tristan und Isolde" von Richard Wagner in einer Klavierfassung des ungarischen Pianisten Zoltán Kocsis und – direkt anschließend – die einzige Klaviersonate von Franz Liszt. Wagner hat Liszts uneheliche Tochter Cosima geheiratet, war also – siehe Titel – dessen Schwiegersohn. Wer die originale Orchesterversion des Tristan-Vorspiels im Ohr hat wird sich mit einer Klaviertranskription vermutlich nie anfreunden. Zu schmerzlich vermisst man die Orchesterfarben, das Glühen und die rauschhaften Steigerungen, die auch ein Meister wie Igor Levit dem Flügel nicht entlocken kann. Der Schlusston des Tristan-Vorspiels wurde zum Anfangston der nun folgenden Sonate in h-moll von Franz Liszt, einem wegen seiner manuellen Schwierigkeiten bei Pianisten gefürchteten Werk. Igor Levit spielt das – wie nicht anders zu erwarten – absolut souverän und technisch brillant. Die Herausforderung dieser Musik besteht allerdings darin, die zahlreichen einzelnen Abschnitte unter einem großen Bogen zusammenzufassen und so für den Zuhörer nachvollziehbar zu machen. Im langsamen Mittelteil versucht Igor Levit versteckte musikalische Facetten auszuloten, den einzelnen Tönen noch mehr Bedeutung zu geben, wodurch allerdings die Stringenz des großen Ganzen ein wenig verloren geht. Das begeisterte Publikum erklatschte sich ein Intermezzo von Johannes Brahms als Zugabe.