Neu in den Kinos: „The Mastermind“
Der Einbruch ins Museum ist der Anfang vom Ende: Die US-Filmemacherin Kelly Reichardt erzählt in ihrem außergewöhnlichen Anti-Heist-Movie die melancholische Geschichte eines Kunsträubers, der vom scheinbar braven Bürger zum gesuchten Außenseiter wird.
Eine bessere Werbung für diesen Film als der spektakuläre Einbruch in das berühmteste Museum der Welt vor wenigen Wochen kann man sich gar nicht vorstellen. Doch wie unfassbar mangelhaft die Sicherheitsvorkehrungen im Louvre auch gewesen sein mögen, in dem kleinen Kunstmuseum in Massachusetts in den frühen 1970er Jahren sind sie noch schlechter: Der einzige Wachmann ist ein alter Mann, der auf seinem Stuhl regelmäßig einschläft. Was den arbeitslosen Tischler und Familienvater J.B. Mooney (Josh O’Connor) an der erfolgreichen Ausführung seines Plans keine Sekunde zweifeln lässt: Er möchte ein paar abstrakte Gemälde des Malers Arthur Dove klauen. Weshalb er mit Frau und Kindern bereits mehrmals das Museum besucht und es dabei zu Testzwecken immerhin geschafft hat, eine kleine bemalte Holzfigur aus einer Vitrine in seiner Jackentasche verschwinden zu lassen. Dem großen Coup als Kunstdieb steht also nichts im Weg. Außer vielleicht Mooney selbst.
Kumpane in Strumpfhosen
Dass der Einbruch bereits im ersten Viertel des Films über die Bühne geht, ist wiederum nur ein Coup von mehreren, den sich Kelly Reichardt für ihren jüngsten Film ausgedacht hat. „The Mastermind“ ist ein Anti-Heist-Movie, in dem die US-Filmemacherin die gängigen Motive des Genres spielerisch auf den Kopf stellt. Vor allem jenes, das Mooney zu seinem Einbruch antreibt: Denn auf den ersten Blick scheint der Sohn des stadtbekannten Richters außer der knappen Haushaltskassa kein solches zu haben, zumal die berufstätige Ehefrau und die hilfswillige Mutter fürs Auskommen sorgen. Mooney scheint sich durchs Leben zu manövrieren, ohne in diesem einen Sinn zu finden. Und seine Planung ist so amateurhaft wie die Rekrutierung seiner windigen Kumpane kurzsichtig. Wenigstens drückt er seinen Kumpels, die immerhin nicht vergessen, sich rechtzeitig die Strumpfhosen übers Gesicht zu ziehen, während er selbst im Fluchtwagen wartet, vorher ein paar Aufnahmen von den Bildern in die Hand. Mit dem für abstrakte Gemälde zweckdienlichen Hinweis, wie man diese richtig aufhängt. Doch der leise Humor, der in diesem Film anfänglich noch zu finden ist, verflüchtigt sich zusehends.
Brauner Backstein
Reichardt, seit ihren frühen Independent-Filmen wie „Old Joy“ (2006) und „Wendy and Lucy“ (2008) eine der führenden Vertreterinnen eines neuen Realismus im US-Kino, wirft auch in „The Mastermind“ ihren seit vielen Jahren unverwechselbaren Blick auf Schauplatz und Charaktere. Während sich Mooney als überforderter Antiheld an seinen Lebensumständen abarbeitet, strauchelt er durch eine von Reichardts langjährigem Kameramann Christopher Blauvelt in sanfte Herbstfarben getauchte Stadt. Breite Autos zwischen Backsteingebäuden und in Brauntönen gehaltene Interieurs verbreiten die biedere Atmosphäre des typischen amerikanischen Kleinstadtlebens der frühen Siebzigerjahre.
Doch die Abschottung gelingt nur bedingt, denn Amerika befindet sich nach wie vor im Krieg: Die Nachrichten aus Vietnam finden zunächst in den Wohnzimmern und, wie sich zeigen wird, später auch lautstark auf den Straßen ihr Echo. Die große Illusion ist dahin – wie auch bei Mooney, der die Erwartungen seiner gutbürglichen Eltern nicht erfüllen konnte. Sein zum Scheitern verurteilter Plan – ausgerechnet für einen Kunstdiebstahl – wirkt wie die Selbstbestätigung und Trotzreaktion eines gekränkten Egoisten.
Verlorener Kampf
„Es ist ein Film über die Nachwehen, ein Film, der sich nach und nach entfaltet“, so Reichardt, die bereits in ihren bisherigen Arbeiten dem Nachwirken von Dingen und Taten große Aufmerksamkeit schenkte: In „Old Joy“ war es das unmögliche Wiederaufleben einer verloren gegangenen Männerfreundschaft, in „Wendy and Lucy“ die Suche einer mittellosen Frau nach Arbeit, im grandiosen Spätwestern „Meek’s Cutoff“ (2010) der Irrweg dreier Siedlerfamilien durch die Wildnis. Wenn der Kampf gegen die Widrigkeiten des Lebens begonnen hat, ist er bei Reichardt eigentlich schon beinahe verloren: Immer ist man dem Glück einen Schritt hinterher. Spätestens wenn Mooney in „The Mastermind“ die Flucht antreten muss und sein klägliches Scheitern dem Filmtitel Hohn spottet, verwandelt sich die Landschaft in ein schmutziges Weiß. Dann ist er endgültig zu dem Außenseiter geworden, als der er sich immer gefühlt hat.
Ab 1.11., TaSKino im GUK Feldkirch (OmU)