Chris Haring/Liquid Loft beim tanz ist Festival am Spielboden Dornbirn (Foto: Stefan Hauer)
Michael Pekler · 30. Aug 2023 · Film

Neu in den Kinos: „Mein fabelhaftes Verbrechen“

Eine mittellose Schauspielerin soll einen Mord an einem widerlichen Produzenten begangen haben, doch der Gerichtssaal macht sie zum Star. François Ozon wiederum macht das Paris der Dreißigerjahre zur Bühne für eine rasante Krimikomödie. Ein pures Vergnügen.

Am Anfang bekommt man das Verbrechen nur zu hören. Kaum ist der Schuss gefallen, stürmt eine junge Frau durch die Terrassentür einer mondänen Stadtvilla und läuft aufgebracht durch die Straßen von Paris. Mode und Autos lassen eindeutig auf die Dreißigerjahre schließen, doch wirkt alles von solch ausgewählter Künstlichkeit, dass man meint, Kostüme und Requisiten kämen direkt aus einem Filmatelier. Zum Beispiel aus jenem für „Mein fabelhaftes Verbrechen“ („Mon crime“) von François Ozon.
Die Fertigkeit, sich mit wenigen, ausgesuchten Bildern auf einprägsame Weise Räume und Zeiten anzueignen, beherrscht Ozon nämlich derart hervorragend, dass sie längst charakteristisches Merkmal seiner Arbeiten geworden ist. Und so genügen Ozon auch in seinem jüngsten Kinostück ein Vorspann mit charakteristischer Typografie, satte Farben und stilistische Spielereien – und schon hat man als Zuschauerin und Zuschauer für die nächsten zwei Stunden eine Heimat gefunden.
Ebenfalls daheim angekommen ist wenig später auch die Blondine Madeleine (Nadia Tereszkiewicz) – die natürlich so heißt wie Kim Novak in Hitchcocks „Vertigo“ –, wo sie von ihrer brünetten Freundin und Mitbewohnerin Pauline (Rebecca Marder) in der mit Accessoires vollgestopften Mansardenwohnung empfangen wird. Unsereins empfängt den ersten Hinweis auf das Verbrechen: Ein widerlicher Filmproduzent wollte über die mittellose Schauspielerin, die sich durch den Besuch eine Rolle erhoffte, herfallen. Gerade noch rechtzeitig sei ihr die Flucht gelungen! Dass allerdings in des Filmproduzenten Kopf eine Kugel steckt und in seiner Villa eine hohe Geldsumme fehlt, worauf der nunmehr an die Tür klopfende Kommissar hinweist, macht Madeleine zur angeklagten Verbrecherin. Zum Glück hat Pauline als arbeitslose Strafverteidigerin gerade keinen anderen Fall. Und Madeleine wird mit der Rolle der Angeklagten über Nacht berühmt. Weshalb sich beide bald vor Angeboten und Aufträgen nicht mehr retten können.
Doch nicht nur die beiden Frauen können mit dem Mord gut leben: Madeleines Liebhaber (Édouard Sulpice) als einziger Spross eines reichen, aber in finanzielle Turbulenzen geratenen Autoreifenfabrikanten (André Dussolier), will plötzlich reumütig einer arrangierten Ehe entfliehen und zu seiner wahren Liebe zurückkehren; die Justiz in der Person des Untersuchungsrichters (Fabrice Luchini) hat endlich wieder einmal einen Fall gelöst; und die alte Stummfilmdiva (Isabelle Huppert) ist vermutlich nur eine von vielen Nachahmungstäterinnen, die plötzlich alle ihre Männer loswerden und dennoch damit durchkommen wollen.

Schwere Themen, leichter Ton

„Mein fabelhaftes Verbrechen“ basiert auf einer Komödie von Georges Berr und Louis Verneuil aus dem Jahr 1934, die François Ozon, der vor allem das Boulevardtheater mindestens so liebt wie das Kino, für die Leinwand adaptiert hat. Ganz im Geist der Theatralik der Vorlage sind die Figuren – von Charakteren kann hier nicht die Rede sein – und die wenigen Schauplätze schnell eingeführt, gibt eine schwungvolle Dynamik das Tempo vor und ergibt buchstäblich ein Wort im Dialogwitz das andere.
Ozon selbst bezeichnet seinen Film als Abschluss jener Trilogie „über den Status der Frau mithilfe von Humor und Glamour", die er mit dem bereits zum Musical-Klassiker gewordenen „Acht Frauen“ („8 femmes“) begann und mit „Das Schmuckstück“ („Potiche“) fortsetzte. Doch „Mein fabelhaftes Verbrechen“ wirkt, trotz seiner Anlehnung an die Screwball Comedy, gesellschaftspolitisch aktueller: nicht aufgrund des Verbrechens, das man – wer auch immer es verübt hat – am Ende doch in Form einer bizarren Slapstick-Einlage zu sehen bekommt, sondern aufgrund seines Themas der sexuellen Gewalt, der Sensationslust des Publikums, der öffentlichen Vorverurteilung und der weiblichen Selbstermächtigung eines MeToo-Falls aus dem vorigen Jahrhundert.
Erstaunlich dabei ist der leichte Tonfall, mit dem diese gewichtigen Themen abgehandelt werden. Oder auch nicht, denn bekanntlich interessiert sich Ozon für Gesellschaftskritik nur beiläufig, dafür aber umso mehr für Stil und Wirkung: Die Arbeiten des bekennenden Verehrers von Douglas Sirk und Rainer Werner Fassbinder sind bis ins Detail kalkulierte Filme, die als selbstreferenzielle Systeme ebenso funktionieren wie als Hommage an einzelne Regisseure – diesmal vor allem an Billy Wilder und den Stummfilm. Das postmoderne Kino hat in François Ozon längst seinen französischen Meister gefunden.
Am Ende dieses beschwingten, scheinbar leichthändig inszenierten Films schaut für jede und jeden etwas heraus. Am meisten für jene, die am besten lügen konnten. Und doch bleibt nicht alles ausgesprochen, wenn Pauline ihre Freundin verstohlen zärtlich anblickt.