Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Silvia Thurner · 05. Jun 2010 · Musik

Was zur Zeit der Entstehung nicht gehört werden durfte, will heute gehört werden - Das „New Helsinki Quartet“ gestaltete einen höchst bemerkenswerten Abend im Rahmen des Feldkrich Festivals

Das „New Helsinki Quartet“ musizierte Werke von Sofia Gubaidulina, Alfred Schnittke und Dimitri Schostakowitsch. Die schwierigen raumakustischen Verhältnisse im Ratssaal der Stadt Feldkirch trieben den Musikern zwar den Schweiß auf die Stirn, aber den packenden Werkdeutungen taten sie keinen Abbruch. Ebenso spannend war das anschließende Podiumsgespräch zum Leben der KünstlerInnen in totalitären Regimes mit der russischen Musikwissenschaftlerin und Sopranistin Svetlana Savenko, Anselm Hartmann und Laura Berman.

Sofia Gubaidulinas drittes Streichquartett lebt von filigran aufeinander abgestimmten Tönen und Tonqualitäten, die die Streichquartettmusiker in unzähligen Farbnuancen ausbreiteten. So ergaben sich fein verwobene Klanggebilde, die die Zuhörenden für das Wesentliche in dieser Musik sensibilisierten. Jede kleine Tonfärbung war bedeutungsvoll für den Zusammenhalt des musikalischen Ganzen. Zwischen übergeordneten Klangereignissen und eher diffus wirkenden Gebilden ergaben sich beziehungsreich proportionierte Ordnungsmuster. Souverän zelebrierten Petri Aarnio, Taija Kilpiö an den Violinen, Ilari Angervo, Viola und Joel Laakso am Violoncello diese feinsinnige Musik. Gezielt steuerten sie auf Höhepunkte zu und boten damit Orientierung. In den gestrichenen Passagen konzentrierte sich der musikalische Fluss auf harmonische Felder und Spannungsverhältnisse zwischen den einzelnen melodischen Linien. Verdichtungen und Lockerungen bewirkten Zustandsbeschreibungen, die faszinierend dargestellt wurden.

Emotional aufgeladene Musik

Im Gegensatz dazu stand das dritte Streichquartett von Alfred Schnittke, das vom „New Helsinki Quartet“ in einer ebenso schlüssigen Form interpretiert wurde. Die persönlich angelegte Musik Schnittkes, der in diesem Werk die Auseinandersetzung und das Ineinanderwirken der musikalischen Tradition mit seiner eigenen kompositorischen Ausdruckswelt dargestellt hat, war dramatisch und emotional höchst aufgeladen. Mit einer satten Tongebung und kraftvollen Gesten sowie variantenreichen Tongebungen in den einzelnen Registerfarben spielten die Quartettmusiker die energiegeladene Musik. Die einzelnen Darstellungsebenen mit den Zitaten auf Musik von Orlando di Lasso, Ludwig van Beethoven, Schostakowitsch und Schnittkes „personifiziertes“ Thema, formten die Musiker plastisch aus, so dass quasi ein Erzählfluss zustande kam.

Demonstrative kompositorische Stellungnahme

Abschließend stand das vierte Streichquartett von Dimitri Schostakowitsch auf dem Programm. Diese Werkdeutung bildete für mich den Höhepunkt des Abends, weil das „New Helsinki Quartet“ die ambivalenten Gefühlswelten, die der Komponist mit unzähligen Anspielungen und Stiltypen zum Ausdruck brachte, mit höchster Dramatik darstellte und beziehungsreich deutete. Gleich zu Beginn entwickelten sich die ziellos scheinenden Tonlinien über einem intensiv wirkenden Orgelpunkt. Empfindsam aufeinander abgestimmt erklang das Lamento im Andantino, die Nähe und Ferne des Hauptthemas im dritten Satz wirkte beinahe abgehoben, bis im Finalsatz die aus der jüdischen Tradition heraus kristallisierten Hauptthemen die ganze Dramatik mit speziellem Blick auf die jüdischen Menschenschicksale entfaltete. Markant und bedrohlich, zugespitzt und verdreht entwickelte sich die Musik zum resignativen Schluss hin.
Leider fühlte sich das „New Helsinki Quartet“ nach diesen intensiven Werkinterpretationen gemüßigt, eine für meine Ohren gänzlich unpassende Zugabe zu spielen.

Informative Innen- und Außensicht

Nach dem Konzert wurde zu einem Podiumsgespräch geladen. Erfreulich viele BesucherInnen interessierten sich für die erschreckenden und abstoßenden Umstände, denen die KünstlerInnen in Russland, speziell zur Zeit des Kommunismus, ausgesetzt waren. „Zwischen Unterdrückung und Freiheit. KünstlerInnen in Russland im 20. und 21. Jahrhundert“ lautete das Thema über das Svetlana Savenko und Anselm Hartmann sprachen. Laura Berman moderierte das Gespräch. Überaus beeindruckend waren die Berichte von Svetlana Savenko. Sie gab quasi eine Innensicht des künstlerischen und soziokulturellen Lebens in Russland in den letzten Jahrzehnten, während Anselm Hartmann kenntnisreich quasi die Außensicht reflektierte. Auf diese Weise ergaben sich aufschlussreiche Darstellungen, die einen nachhaltigen Eindruck hinterließen. Mit diesem künstlerisch hochkarätigen Konzert sowie den sympathisch dargebotenen und authentischen Informationen zum Thema Russland beweist das Feldkirch Festival ein Profil, das ich bislang nicht in dieser Stringenz erlebt habe. Jedenfalls wünsche ich mir mehr davon.