Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Silvia Thurner · 25. Apr 2013 · Musik

Niemand blieb unberührt – Georg Friedrich Haas’ „chants oubliés“ wirkten aufwühlend und intensiv, wurden begeistert gefeiert und vehement abgelehnt

Das vierte Abonnementkonzert der Reihe „DornbirnKlassik“ wartete mit einem besonders spannenden Programm auf. Neben Werken von Igor Strawinsky und Johannes Brahms spielten das Münchener Kammerorchester und sein engagierter Leiter Alexander Liebreich die österreichische Erstaufführung der „chants oubliés“ von Georg Friedrich Haas. Wer ins Kulturhaus kam, um sich zurückzulehnen und zu entspannen, wurde in der Ruhe gestört. Wer sich jedoch auf die Musik einlassen konnte und wollte, erlebte eine mitreißende, in vielen Farben schillernde Klangskulptur. Das Violinkonzert op. 77 von Brahms interpretierten Isabella Faust und das MKO mit einer differenzierten und verinnerlichten Tongebung.

Zu Beginn erzählte das Münchener Kammerorchester (MKO) das sogenannte Ballett blanc „Apollon Musagète“ von Igor Strawinsky und die Geschichte von Apoll und den drei Musen Calliope, Polyhymnia und Terpsichore. Die tänzerische und handwerklich sehr exakt angelegte Musik ist ein Musterbeispiel der „neoklassizistischen Phase“ von Igor Strawsinsky. Den Intentionen des Komponisten, wonach die Werkdeutung einen „stilisierten" Eindruck hinterlassen soll, folgten das MKO und sein Leiter Alexander Liebreich genau. Auf diese Weise wurden distanziert wirkende, musikalische Bilder in den Raum gestellt. Dessen ungeachtet schien es, als ob das Kammerorchester eine Aufwärmphase benötigte, denn ein gemeinsamer musikalischer Atem und eine genaue Intonation stellten sich erst allmählich ein.

Endlich wieder Haas


Mit Spannung erwartete ich die österreichische Erstaufführung des Werkes „chants oubliés“, das Georg Friedrich Haas im Auftrag des Münchener Kammerorchesters komponiert hat. Vor vier Jahren spielte dieses Orchester in Dornbirn auch Haas’ Uraufführung der Komposition „Unheimat“. Darin hatte er sich an seine Kindheit und Jugendzeit im Montafon erinnert. Georg Friedrich Haas avancierte in den vergangenen Jahren zu einem in Europa gefeierten Komponisten, der gerade eine Weltkarriere startet. Im September 2013 folgt er dem Ruf an die renommierte Columbia University nach New York, wo er Komposition unterrichten wird.

Es ist der klugen Programmgestaltung des Kulturamtsleiters Roland Jörg zu danken, dass Georg Friedrich Haas wenigstens einmal in vier Jahren mit einem repräsentativen Orchesterwerk in Vorarlberg zu hören ist.

Ein musikalischer Organismus


Inspiration für seine „chants oubliés“ bezog Georg Friedrich Haas aus der Klanglichkeit, mit der Franz Liszt motivische Fragmente in ein übergeordnetes Ganzes einbettete. Im Kulturhaus Dornbirn waren die OrchestermusikerInnen in zwei Gruppen postiert, auf der Hauptbühne das Streichorchester und auf der Seitenbühne Trompete, Posaune, Horn, Klarinette und Kontrabass. Kraftvoll und genau ausdifferenziert schickten sie Tonlinien durch den Raum, die sich über den Zuhörenden kreuzten, mischten, überlagerten, rieben und intensive Klangwirkungen erzeugten. Klangtürme bäumten sich auf, Töne verdichteten sich zu Tonballungen, drifteten mit starken Fundamenten und leicht schwebend von unten nach oben, oder kleine Tonmuster rotierten in unterschiedlichen Tempi. Irritierend wirkten die schrillen, pfeilgerade gesetzten Tonlinien, die markante Bezugspunkte setzten.

Zweigeteilte Reaktionen


Der so entwickelte Klangorganismus und seine Veränderungen bewirkten eine unmittelbar wahrnehmbare musikalische Energie, die alle erreichte. Dementsprechend ausgeprägt waren die Reaktionen des Publikums. Während die einen begeistert applaudierten, reagierten die anderen ablehnend und mitunter verärgert. Berührt wurden alle und darin lag eine besondere und heutzutage seltene Qualität dieser Aufführung.

Herausragender Orchesterleiter


Einmal mehr bestätigte Alexander Liebreich, dass er ein Meister seines Faches ist. Denn er erkundet den Aussagegehalt der Kompositionen, egal ob in traditioneller oder zeitgenössischer Sprache, und setzt diese klar und präzise um.

Sensible Solistin


Nach dem Werk von Georg Friedrich Haas war es schwer, in die Musik von Johannes Brahms hineinzufinden. Doch Isabelle Faust schaffte es mit ihrer gefühlvollen Musizierart. Jeder musikalischen Phrase im Violinkonzert ließ sie ihren eigenen Stellenwert innerhalb des Gesamtgefüges zukommen. Die Solistin spielte mit einer intensiven und farbenreichen Tongebung und spannte den Bogen zwischen dem Orchester- und dem Solistenpart gut proportioniert aus. Vor allem im Finalsatz mit den kantigen und rhythmischen Themenbildungen forderte sie das Orchester heraus. So wurde eine fesselnde Werkdeutung entfaltet.