Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Silvia Thurner · 08. Aug 2017 · Musik

Jagdszenen, Sternbilder und eine fixe Idee – vielseitige Werkdeutungen und ein hervorragender Dirigent Enrique Mazzola

Das dritte Orchesterkonzert bei den Bregenzer Festspielen bot ein buntes Panoptikum an Kompositionen und schillernder Klangfarbenspiele. Das groß besetzte Orchester der Wiener Symphoniker musizierte Werke von Ernest Guiraud und Hector Berlioz. Im Mittelpunkt stand die Komposition „Cassiopeia“ des griechischen Komponisten Minas Borboudakis. Wie ein Fels in der Brandung agierte Enrique Mazzola, geistreich und spannend legte er die drei Werkdeutungen an und motivierte die Musikerinnen und Musiker vor allem in der berühmten „Symphonie fantastique“ zu Höchstleistungen.

Der französische Komponist Ernest Guiraud genoss zu seinen Lebzeiten großes Ansehen, heute sind seine Werke weitgehend unbekannt. Dass er seine Musik aus der Perspektive eines Opernkomponisten konzipierte, zeigte auch die symphonische Dichtung „Chasse fantastique“, die alles aufwies, was eine Jagdszene benötigt. Erst allmählich fanden die Orchestermusiker zueinander, doch dann bäumten sie die gewaltigen Klangmassen auf und spielten die pfeilartig nach unten schießenden Tonlinien markant aus. Spätestens beim lyrischen Mittelteil wurde klar, dass die Musik weitgehend auf eher oberflächlichen Effekten beruhte und wenig emotionale Tiefe verströmte.

Proportionen schufen Stringenz

Aufhorchen ließ die Aufführung von „Cassiopeia“ des griechischen Komponisten Minas Borboudakis. Das gut proportionierte Werk lebte von genau ausgewogenen Proportionen im Großen sowie in den kleinen melodischen und rhythmischen Einheiten. Das rhythmische Tonmaterial bezog der Komponist aus einer Viertongruppe sowie Zahlenverhältnissen, die er aus Intervallproportionen ableitete. Damit erreichte er eine fein aufeinander abgestimmte, schwebende Klangbalance, die eine große innere Ruhe verströmte, ohne esoterisch zu wirken. Das Vibraphon und der große Schlagwerkapparat waren wie eine Kabine inmitten des Orchesters aufgebaut. In dieser Wunderkammer strich, klopfte, schlug und hämmerte der Schlagwerker Dimitris Desyllas. Im Zusammenwirken mit dem Orchester entfaltete sich ein fein verwobener melodischer Fluss. Eine massive Konfrontation des Schlagwerks und des Orchesters bildete einen kontrastreichen Abschnitt, aus dem eine versöhnende Geste herausführte. Aufmerksam leitete Enrique Mazzola die Wiener Symphoniker, so dass die formal kurzweilig angelegte und gut nachvollziehbare Musik klar ausformuliert erklang.

Drastisch erzählte Musik

Den Höhepunkt des Orchesterkonzertes stellte die fulminant ausgestaltete „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz dar. Die berühmte Komposition ist in zahlreichen Werkdeutungen bekannt, deshalb sind ein Interpretationsvergleich und die Frage, in welcher Form die „Idée fixe“ in die jeweils unterschiedlichen Klanggestalten eingebaut und herauskristallisiert werden, immer wieder spannend. Gelassen führte das Orchester in die Geschichte des Protagonisten ein und breitete die orchestrale Atmosphäre für das nachfolgende dramatische Geschehen ein. Aktion und Ruhe sowie die Stimmungen der einzelnen musikalischen „Tableaus“ stellte Enrique Mazzola transparent dar. Der riesige Orchesterapparat war zwar stets präsent, jedoch kosteten die Musiker auch die zahlreichen kammermusikalisch geführten Passagen aus und gaben ihnen Zeit. Jeder der fünf Sätze bot einige musikalische Anreize, die die Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Im zweiten Satz waren dies die „Seitenblicke“, die den Walzer von unterschiedlichen Richtungen beleuchteten. Die Zwiesprach des Englischhorns und der hinter der Bühne spielenden Oboe verfehlte auch in dieser Aufführung ihre Wirkung nicht. Besonders eindringlich wirkte die Passage, in der das Englischhorn in der Oboe keine Resonanz mehr fand und stattdessen ein Donnergrollen eine Unheil drohende Stimmung hervorrief. Auch die Art wie Enrique Mazolla und das Orchester die Stille mit einbezogen, faszinierte. Schneidendes Blech und die drastisch nach unten ziehende Chromatik prägten den Marsch bevor die vielgestaltigen Klangfarbenkombinationen und Spieltechniken den Finalsatz belebten. Zahlreiche Soli belebten die Musik, bewundernswert „überdreht“ erklang das Thema in der Es-Klarinette. Die abschließende Kombination des Dies irae mit dem Hexentanz gelang kraftvoll, leidenschaftlich und mitreißend.