Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Silvia Thurner · 31. Jän 2014 · Musik

Eine Begegnung mit einer herausragenden Persönlichkeit – Michael Gielen leitete das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg mit bewundernswerter Kraft

Ein eindrückliches Konzerterlebnis bot das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg im Rahmen der Bregenzer Meisterkonzerte. Im Mittelpunkt des Abends standen Igor Strawinskys Spätwerk „Variations“ und die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ von Gustav Mahler mit dem Bariton Andrew Schroeder. Der international hochgeschätzte Dirigent und Komponist Michael Gielen dirigierte das groß besetzte Orchester, das er jahrelang als Chefdirigent geleitet hatte. Zu einem wesentlichen Teil lebten die Werkdeutungen vom hellwachen Geist des 87-jährigen Maestros.

Michael Gielen hat als Dirigent und mit seiner Musik etwas zu sagen. Doch dabei ließ er es beim Konzert im Bregenzer Festspielhaus nicht bewenden. Sympathisch und humorvoll wandte er sich ans Publikum und gab vor allem zu Igor Strawinskys „Variations: in memoriam“ Aldous Huxley eine markante Werkeinführung. Er erklärte einzelne Passagen und endete, bezugnehmend auf eine Passage mit zwölf unabhängig voneinander geführten Solostimmen: „Ich frage mich seit Jahrzehnten, was Strawinsky damit gemeint haben könnte.“ Weil dieses Werk stets eine Herausforderung für die Zuhörenden darstellt, hatte sich der Orchesterleiter entschlossen, genau dieses Werk zweimal zu spielen. Dies eröffnete unterschiedliche Hörperspektiven, so dass die vielgestaltigen Gesichter des Werkes eindrücklich erlebbar wurden.

Das Spiel mit Linien und Flächen lotete das Orchester spannend aus. Vor allem mit dieser Werkdeutung wurde klar, wofür das SWR Sinfonieorchester seit Jahrzehnten steht. Wie kaum ein anderes Orchester widmet sich dieser Klangkörper der zeitgenössischen Musik. Traditionell bringt das SWR bei den Musiktagen in Donaueschingen neue Werke, die auf der Höhe unserer Zeit stehen, zur Uraufführung.

Emotionaler Mahler


Gustav Malers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ waren mit dem Bariton Andrew Schroeder zu hören. Der aus Amerika stammende Sänger gestaltete die Lieder mit einer ausgeprägten emotionalen Kraft. Vor allem in jenen Passagen, in denen das Liebesleid im Vordergrund stand, bewirkte Andrew Schroeder mit seinem großen Tonumfang und warmen Timbre eine intensive Textdeutung. Teilweise agierte das Orchester etwas dominant, doch dies schmälerte den positiven Gesamteindruck der Interpretation nicht.

„Übermahlerter“ Schumann


Die „Sinfonischen Variationen“ von Antonin Dvorak stellte das SWR Sinfonieorchester an den Beginn des vielseitigen Konzertabends. Zur Einstimmung passten die kompositorisch und instrumentatorisch abwechslungreich angelegten, allerdings etwas betulich wirkenden Variationen. Das riesig besetzte Orchester musizierte zurückhaltend und schuf damit eine reizvolle innere Spannkraft.

Ein ähnliches Gefühl stellte sich bei der Interpretation der ersten Sinfonie von Robert Schumann ein. Interessant war, dass Michael Gielen und das Orchester die Version mit den Retuschen von Gustav Mahler präsentierten. So gesehen war eine „übermahlerte“ erste Sinfonie zu hören. Das Orchester spielte routiniert und nicht alles gelang ganz exakt. Aber Kontraste und Gegensätze innerhalb des großen Bogens und einige differenziert ausgeformte Motive lenkten die Aufmerksamkeit auf sich.

Ein Skandal


Vehement wehren sich die Orchestermitglieder gegen die Auflösung ihres Orchesters beziehungsweise die angeordnete Fusionierung mit dem Radiosinfonieorchester Stuttgart. Kulturpolitiker und Intendanten beugen sich mittels Subventionsabbau „dem Diktat einer Kommerzialisierung von Bildung, Kunst und Kultur und betätigen sich als Totengräber einer überaus verdienstvollen Kulturinstitution“. Auch diese Missstände brachte Michael Gielen in Bregenz zur Sprache.