Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Fritz Jurmann · 21. Mai 2014 · Musik

Ein Flügel erhält Flügel - Der neue „Selbstspieler“ im Konservatorium ermöglicht eine spannende Zeitreise in die Epoche des „elektrischen Klaviers“

Den Reiz, den ein intaktes historisches Instrument in unserer schnelllebigen Zeit ausüben kann, erlebte am Dienstagabend im Landeskonservatorium Feldkirch eine kleine, aber hoch interessierte Schar von Musikfreunden bei einem Präsentationskonzert. Vorgestellt wurde dabei ein penibel restaurierter und spielbar gemachter, rund einhundert Jahre alter Flügel, der als Dauerleihgabe der Dornbirner Unternehmerfamilie Rhomberg seit Kurzem in der Bibliothek im ersten Stockwerk des Hauses steht.

Das Besondere an diesem Instrument: Es ist mit einem so genannten Selbstspieler ausgestattet, der bereits in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts die originalgetreue Aufnahme und Wiedergabe von Klavieraufnahmen mittels Papier-Lochrollen ermöglichte. So erhält dieser Flügel selber Flügel und führt in einer Zeitreise in eine längst entschwundene Epoche. Ein Wunderwerk, das heute auf faszinierende Weise an den Beginn von Tonaufnahmen parallel zu den ersten Schellacks erinnert.

Im „Schlössle“ am Dachboden entdeckt


Dahinter verbirgt sich eine recht abenteuerliche Geschichte (siehe dazu auch den ausführlichen Beitrag in der KULTUR-Printausgabe 3/2014). Der kunstsinnige Martin Rhomberg entdeckte vor einiger Zeit am Dachboden seines Dornbirner Elternhauses, dem so genannten „Schlössle“, einen ziemlich desolaten Flügel, der sich als Kulturgut von besonderer Bedeutung entpuppte. Es war ein um 1910 von der deutschen Firma Schiedmayer erbauter Flügel, ausgestattet mit einem DEA-Reproduktionssystem der Firma Hupfeld Leipzig – beides zusammen heute eine absolute Rarität, wie sie nur bis zum Ende des Ersten Weltkrieges erzeugt wurde.

Man war sich bei Rhombergs sehr rasch klar darüber, dass man dieses wertvolle Stück Kulturgeschichte möglichst im Originalzustand wiederherstellen und der Öffentlichkeit zugänglich machen wollte. Finanzierungsbeiträge durch Land, Konservatorium und den LIONS Club Vorarlberg wurden gesichert, das Instrument in einem abenteuerlichen Transport über morsche Holzstiegen vom Dachboden herunter verladen und zu einem Spezialisten nach Deutschland verschickt. Mit Hans-W. Schmitz in Stuttgart hatte Rhomberg einen der ganz wenigen Fachleute gefunden, der sich mit dieser alten Mechanik noch auskannte und diese auf Vordermann bringen konnte.

Detailliertes Fachwissen und große Liebe zur Sache


Schmitz ist es auch, der nun in der Bibliothek des Konservatoriums dieses selbstspielende Instrument vorstellt, verständlich dessen Funktionsweise mit einer elektrisch betriebenen Pneumatik erläutert und sofort durch sein unendlich detailliertes Fachwissen, aber auch seine große Liebe zu dieser speziellen Materie beeindruckt: „Das Besondere an diesen Reproduktionsklavieren, die damals vor dem Ersten Weltkrieg zu Tausenden in gutbürgerlichen Haushalten standen, ist, dass nicht wie früher die Notenrollen für die Musikwiedergabe nach der Partitur mechanisch gestanzt wurden. Hier konnte ab etwa 1905 das Spiel von Pianisten aufgenommen und naturgetreu wiedergegeben werden, samt Dynamik und Anschlag. Beim Abspielen konnte das Tempo noch zusätzlich mit einem Hebel variiert und damit eine künstliche Virtuosität erzeugt werden.“

Er macht auch gleich die Probe aufs Exempel, legt unter zunehmender Spannung seines Auditoriums die erste Rolle in den DEA-Kasten – und der beginnt zu spielen. Angetrieben von einem ziemlich lauten Motor, läuft der Lochstreifen ab, und wie von Zauberhand bewegen sich die Tasten des Instruments ganz von selber auf und nieder. Es erklingt originalgetreu einer der bekannten „Danzas Espagnoles“, genau so, wie ihn der Komponist Enrique Granados persönlich 1913 eingespielt hat. Und manch ein älteres Semester im Publikum wird sich dabei wohl an den Schlager „In einer kleinen Konditorei“ aus den verrückten Zwanzigern erinnert haben, in dem es heißt „…und das elektrische Klavier, das klimpert leise…“

Vergleich mit der Schellack


Der Applaus des Publikums setzt erst nach einer Schrecksekunde ein und gilt neben dem längst verblichenen Interpreten vor allem auch dem kundigen Präsentator und seiner wiederhergestellten Maschine. In der anschließenden Diskussion bewundern die Zuhörer im Vergleich etwa mit einer quäkenden und rauschenden Schellack aus jener Zeit auch die durch dieses System gegebene naturgetreue Klangqualität über das Klavier. Allein die Frage, wie der Ton damals auf die Rolle kam, bleibt laut Schmitz das bis heute gut gehütete und ungelöste Geheimnis der Firma.

Eine recht eigenwillige, pathetische und reichlich mit Rubati garnierte Wiedergabe des Schubert-Impromptus G-Dur durch die Pianistin Teresa Carreno ist ein Dokument des romantisch ausgeprägten Zeitgeschmacks vor etwa einhundert Jahren. Dann kommt der große Norweger Edvard Grieg persönlich zu Wort, mit einem 1906, kurz vor seinem Tod, von ihm eingespielten „Albumblatt“ op. 28, und man wird nachdenklich ob dieser geballten Ladung an Authentizität, die da auf einen zukommt. Dann folgen Alexander Skrjabin mit einer seiner Mazurkas, die damals als „zeitgenössische Musik“ galt, und Alfred Grünfeld mit einer virtuosen Tarantella.

Nach „Geisterkonzert“ ein realer Pianist


Nach diesem „Geisterkonzert“, wie es Konservatoriumsdirektor Jörg Maria Ortwein bezeichnet, führt ein „junger, wacher Geist“ in der Person des seit einem Jahr am Haus beschäftigten jungen Schweizer Pianisten und Klavierlehrers Benjamin Engeli in die Wirklichkeit zurück. Und er spielt an diesem alten Flügel sinnigerweise ein Werk jenes Alexander Skrjabin, der noch Minuten zuvor selber über einen Lochstreifen an diesem Instrument präsent war. Sein Nocturne Des-Dur für die linke Hand entsteht in Engelis routinierter Darbietung als verträumt-bewegte Petitesse und beweist, dass der Flügel als solches sich durchaus auch für aktuelle Konzertwiedergaben eignet. Und nun ist auch ein Künstler leibhaftig vorhanden, der persönlich den Applaus des Publikums entgegennehmen kann.