Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Bader · 28. Okt 2012 · Musik

Die Pranke des Tigers

Brian Auger Trinity feat. Savannah Grace begeisterte am Freitagabend im ausverkauften Jazzclub Rorschach

Der 73-jährige Brite Brian Auger ist ein Phänomen. Seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts reißt er sein Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Als Tastenkünstler  war er maßgeblich an der Entwicklung des Jazz-Rock beteiligt. Von der Presse wurde er als „Godfather of Acid Jazz“ bezeichnet. Besondere Beachtung fand und findet der Ausnahme-Musiker als superber Techniker an der Original Hammond B-3. In den Epochen seines musikalischen Schaffens setzte er diese legendäre Hammond-Orgel (produziert von 1955 bis 1974) stilprägend und erfolgreich in den verschiedensten Band-Kontexten ein. Etwa bei Trinity oder später bei seinem Oblivion Express.

Dem Jazz-Rock-Publikum bekannt wurde der 1974 in die USA ausgewanderte Engländer nicht nur durch seine einfallsreichen Eigenkompositionen, sondern auch durch seine spannende Arrangements von Fremdmaterial. Augers Arrangements bedienen sich bei Jazz, Funk, Soul und Rock und zeichnen sich dabei besonders durch sein Gespür für groovige Riffs, fingerfertige - stilistisch sehr eigenständige - Soli und eingängige Melodien aus. Und: durch den Sound seiner B-3. Weil er nicht wie Jimmy Smith klingen wollte, verzichtete er schon sehr früh auf ein Leslie-Kabinett. Seit dem Beginn seiner Organisten-Karriere schickt er deshalb den Orgel-Sound direkt in die P.A. Zur Belebung des an sich „glatten“ Orgelklangs benutzt er das Scannervibrato. Und hier vor allem das Chorusvibrato 3. Im Solo Setting benutzt er gerne die ersten drei - voll herausgezogenen - Zugriegel in Kombination mit dem vierten und fünften, halb herausgezogenen Zugriegeln. Diese Registrierung ist für den „Biss“ verantwortlich, der Augers Sound aus- und seine Fans verrückt macht. Als Percussion wählt er die Einstellung „second harmonic“.

Da der epochemachende - elektromagnetische - Sound der Original B-3 bis heute unerreicht ist, vermeidet es Auger, einen leichten - digitalen - Klon zu spielen. Und er weiß: Seine Fans nehmen lange Wegstrecken auf sich, ihn eben am Original-Instrument agieren zu sehen. Ein Zugeständnis an das Tour-Leben ist allerdings der Umstand, dass es sich bei Augers B-3 oft um eine „Portable B-3“ handelt. Also um ein mit seitlichen Tragegriffen ausgestattetes Flightcase-Modell, das doch weniger wiegt als das schwere Möbelstück B-3.

Spieltechnik


Als Jazz-Rock-Organist ist es Auger gewohnt, mit einem E-Bassisten zusammenzuspielen. Das heißt, er verzichtet auf das 25-tönige Fußpedal der B-3. Und zumeist auf das Spiel von (Walking) Bass Lines in der linken Hand. Vielmehr setzt er seine linke Hand dazu ein, in der Begleitfunktion sogenannte „Left Hand Voicings“ zu realisieren. Dieses „Comping“ hat Auger bis zur Perfektion kultiviert: Die linke Hand liefert nicht nur die Harmoniefolgen der Kompositionen, sondern spielt diese in ansprechenden Rhythmen, die mitverantwortlich für den Drive der Stücke sind. Dies auf dem unteren Manual der B-3, aber auch sehr oft auf dem Korg Stage Piano, das auf der B-3 platziert ist. Hier wählt Auger als prominenten Sound vor allem den des berühmten Fender Rhodes. Auch hier zeigt sich Auger als Freund von „Vintage“-Sounds. Dieser glockige E-Piano-Sound wird in manchen Song-Parts von einem Streicher-Klang unterlegt.

Natürlich experimentierte Auger im Laufe seiner Karriere auch mit verschiedenen Keyboards und Synthesizern, doch sah man ihn live in den letzten Jahren vor allem mit den zwei erwähnten Instrumenten.

Seine motorisch starke rechte Hand ermöglicht es Auger als Solist, verwegene, aus dem Idiom des Jazz generierte Läufe in aberwitzigem Tempo zu spielen. Augers Linien sind dabei auch im Hochgeschwindigkeitsbereich rhythmisch präzise und fehlerfrei. Abhängig vom Musikstil lässt er etwa auch mit jener Improvisationstechnik aufhorchen, bei der er aus der Moll-Pentatonik gewonnene Gruppen von vier Sechzehntelnoten chromatisch aus der Tonalität hinaus und wieder zurückführt. Zu hören ist dies etwa im ersten Solo der Live-Version von „Whenever you're ready“ („Live Oblivion, Volume 2“, 1976).

Sehr gerne und oft setzt er jenes - von einer Spielfigur Jimmy Smith abgeleitete - Lick ein, das mittlerweile unter Auger-Kennern als „Alien's Lick“ bekannt ist. Es handelt sich dabei um ein Lick, das auf einer schnellen Ton-Repetition von Daumen und drittem Finger basiert. In verschiedenen Varianten ergeben sich bluesige Tonfolgen.

Neben den Single Tone Lines verfügt Auger in der rechten Hand im Solo-Spiel auch über ein Repertoire von akkordischen, recht bluesigen Patterns.

Mit hohen Tönen in exponiert hoher Lage lässt er die B-3 schreien.

Auger hat eine virtuose perkussive Spieltechnik entwickelt, bei der er - ein Höhepunkt auf seinen Konzerten - die Tastatur der Hammond äußerst funky wie ein Rhythmus-Instrument behandelt und dann die Orgel mit schnellen Abfolgen von Glissandi wie eine Raubkatze fauchen lässt.

Augers technisches Vokabular ist eigentlich recht überschaubar. Aber er beherrscht es wie kein Zweiter. Und alle erwarten von ihm, dass er seine ganz persönlichen brillanten Tricks vorführt.

Auch als Begleiter ist Auger ein Ass. Er spielt nie zu viel, nie zu wenig. Bleibt geschmackvoll. Auch wenn er mit Fills die Songs anreichert, spielt er sich nie in den Vordergrund. Er ist immer Teil der Band.

Freitagabend in Rorschach


In seinem aktuellen Programm widmet sich Brian Auger vornehmlich der Musik seiner Schaffensperiode mit Trinity, jener Band um die exzentrische britische Vokalistin Julie Driscoll, mit der er 1967 das Album „Open“ und 1969 die Doppel-LP „Streetnoise“ veröffentlichte. Und mit der er zwischen 1965 und 1969 zahlreiche Singles einspielte, die auf der CD „The Mod Years“ zu finden sind. Diesem Liedgut zollte das aus Brian Auger (B-3, Korg Stage Piano), Savannah Grace Auger (Gesang), Karma Auger (Schlagzeug) und Leslie King (E-Bass) bestehende Quartett in einer Art Retrospektive auch am Freitagabend im schönen Ambiente des ausverkauften Jazzclub Rorschach Tribut. Dies in zwei heftig beklatschten Sets.

Schon mit dem Opener „Save me“  (aufgebaut auf ein markant groovendes Orgel-Riff) trat Savannah Auger einmal mehr als aparte Frontfrau in Erscheinung, die im kurzen Kleidchen etwas kühl-distanziert wirkend, ihren intonationssicheren, rhythmisch präzisen Gesang mit durchaus erotischen Tanz-Bewegungen einleitete, untermalte bzw. interpunktierte. Die bestens eingespielte Band sorgte dafür, dass die Sängerin ihre jazzige, feminine Stimme sicher entfalten konnte. Eine gut phrasierende Vokalistin mit einem feinen Vibrato - am Ende von Gesangslinien. Keine ausgesprochene Power-Röhre mit allzu großem Volumen. Keine Stimm-Akrobatin. Aber eine Frau mit Soul in der Kehle.

In seinem B-3-Solo beeindruckte Auger mit seinem unvergleichlichen Stil, blieb aber innerhalb der Tonalität. Dies übrigens auch bei allen anderen Titeln des Abends. Die Trinity-Songs sind offensichtlich nicht der musikalische Kontext für virtuose Outside-Läufe. Augers Mimik war dabei gleich verwegen wie sein Spiel. Ein absoluter Live-Musiker, der es ganz offensichtlich genießt, in kleinen Clubs zu spielen, wo er die Empfindungen auf den Gesichtern der Menschen ablesen kann. Man sah auch im Schweizerischen Rorschach: Dieser Mann lebt seine Musik.

Reminiszenzen an den Blues gab es mit Titeln wie „Why (am I treated so bad)“ oder den Uptempo-Nummern „Fool Killer“ und „Kiko“, letztere ein Instrumentalstück mit einem energiegeladenen B-3-Solo. Stichwort: „Alien's Lick“! Immer ein Genuss: Augers geschmackvolles Comping.

Gefühlvolle Interpretin


Gefühlvoll zeigte sich Savannah Auger bei der Cover-Version des Doors-Hits „Light my fire“. Souliger Gesang! Die einfachen Original-Akkorde des Refrains wurden von Auger jazzig erweitert.

Noch mehr Emotion legte Savannah Auger aber in ihre Interpretation der Jazz-Ballade „Cry me a river“, die von Auger mit dem E-Piano-Sound stilsicher eingeleitet wurde. Geschmeidige Eleganz auch am Stage Piano. Stehend gespielt.

Solist des Abends


Keine Frage, Brian Auger war der Solist des Abends. Er bereicherte praktisch jede Nummer in den zwei Sets mit seiner fingerfertigen Kunst. In „Indian Rope Man“ legte aber auch Leslie King am E-Bass los: mit einem funkigen Slap-Bass-Solo. Karma Auger zeigte in einem kurzen Drum-Solo sein solistisches Können.

Humorvolle Moderation


Savannah Grace Auger, obwohl gefeatureder Mittelpunkt des Quartetts, überließ die Moderation ihrem „Vati“, wie sie ihren Dad in einer ihrer wenigen Wortspenden nannte. Dieser spielte in seinen Ansagen sein humoristisches Talent zur Freude des Publikums voll aus. Seine Vermischung aus Deutsch und Englisch und seine Wortschöpfungen sind legendär. Beispiel: „Ich hoffe, dass mein Deutsch ist verstehable. Ich habe studiert in der Margaret Thatcher School of Heftig-Metal.“ Auch seine selbstironische, mit seinem Alter kokettierende Bemerkung, die Nummer „Season of the witch“ (im Original von Donovan) vom ersten Album „Open“ (1967) sei „a smash hit in the ganz roman empire“ gewesen, sorgte - naturgemäß - für Lacher.

Mit der Bob Dylan-Nummer „This wheel´s on fire“, die in der Trinity-Version (zu finden auf dem Album „Open“) 1968 ein Hit in England und anderen europäischen Ländern war, verabschiedete sich das Quartett vom begeisterten Publikum.