Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Silvia Thurner · 26. Jul 2010 · Musik

„Die Stille ist ungeboren“ - Musik und Poesie bei den Bregenzer Festspielen als sinnenreiche Ergänzung des Gesamtprogramms

„Musik und Poesie“ ergänzt den Schwerpunkt rund um den Komponisten Mieczyslaw Weinberg bei den Bregenzer Festspielen. Besonders die Kammermusik und die Lyrik waren für viele Komponisten und Schriftsteller, die Repressalien politischer Machthaber ausgesetzt waren, Ausdrucksformen ihrer persönlichen Weltsicht. In diesem quasi geschützten Raum legten auch Mieczyslaw Weinberg und Ossip Mandelstam ihre ureigenen, großteils auch autobiografischen Gedanken nieder. Der Kammermusikabend stieß auf großes Interesse und hinterließ einen berührenden und nachhaltigen Eindruck.

Ossip Mandelstam (1891-1938) wurde in einem Arbeitslager Stalins ums Leben gebracht. Das literarische Werk rettete seine Frau Nadeschda Mandelstam, indem sie die Texte auswendig lernte. Im Bregenzer Seestudio trug der Lyriker, Essayist und Übersetzer Ralph Dutli Gedichte des russischen Dichters vor und schuf damit eine äußerst konzentrierte Atmosphäre. Seine warme Stimme und sein musikalischer Vortrag in russischer und deutscher Sprache öffneten die Sinne für die farben- und bilderreiche Lyrik von Mandelstam. So wurde eine Begegnung möglich, die das Interesse für den Dichter weckte.

Wichtige Kammermusik

In Höchstform präsentierte sich das EOS Quartett (Willy Büchler, Christian Blasl, Roman Bernhart und Andreas Pokorny) zusammen mit der Pianistin Doris Adam. Zu Beginn wurde Mieczylaws Weinbergs „Klavierquintett“, op. 18 musiziert. Gut durchdacht wirkte dieses groß angelegte Werk, das in einer hervorragenden Interpretation geboten wurde. Vor allem die Gegensätze der Hauptthemen eröffneten dem Komponisten viele Kombinationsmöglichkeiten, die eine ausgewogene Balance zwischen fast zierlichen bis hin zu impulsiven Passagen ausbreiteten. Bemerkenswert transformierte Weinberg die Themen, indem er sie oftmals spieltechnisch in veränderter Gestalt vorführte und verarbeitete. Reminiszenzen wichtiger motivischer Gedanken schufen einesteils Zusammenhalt, andernteils bewirkte dies auch einen fast episodenhaften Erzählfluss, der die Musik mitteilsam erscheinen ließ. Diesen Eindruck verstärkten überdies Klangfelder mit Anspielungen auf jüdische Musik und Volkslieder. Viele Passagen wurden unisono im Streichersatz geführt, so dass die Musik teilweise eine symphonische Breite annahm. Dabei kam die Rolle zwischen den Stimmgruppen der Streicher und des Klaviers schön zum Ausdruck, denn Weinberg hat es meisterhaft verstanden, Rollenzuschreibungen sowie Hegemonieansprüche zwischen den Instrumenten immer aufs Neue auszuloten und in Frage zu stellen.

Vorbilder

Irritierende Nachgedanken, vor allem im ersten und letzten Satz zeigten die reflektierende Distanz des Komponisten, der auch einen ausgeprägten Sinn für Humor gehabt haben muss. Einige Passagen erinnerten an romantische Vorbilder wie beispielsweise Schubert und Mendelssohn sowie an Schostakowitsch. Beispielsweise als eine lyrische Passage beinahe Schwindel erregend in einen irrwitzig, absurden Tanz geführt wurde. Viel ließe sich noch von dieser Komposition erzählen, jedenfalls war es eine spannende Entdeckung.
Das EOS Quartett und Doris Adam erhielten begeisterte Zustimmung. Die Gewichtungen der fünf Sätze zueinander haben innerhalb eines Werkganzen meistens einen besonderen Stellenwert, besonders ausgeprägt war dies in Weinbergs Klavierquintett. Aus diesem Grund ist es unverständlich, dass zwischen den dritten und vierten Satz ein „lyrischer Block“ geschoben wurde.

Wenig authentisch

Die „Jüdischen Lieder“, op. 13 mit der Sopranistin Talia Or ist ein autobiographisches Werk von Weinberg, das von einem kindlichen Duktus in eine berührende Anklage eines verlassenen und obdachlosen Kindes führt. Als Textgrundlage verwendete der Komponist Verse von Itzhok Lejb Perez. Während im Klavierpart die Atmosphäre für die Inhalte der Lieder geschaffen wurde, übernahm die Sopranistin den melodieführenden Part. Weitgehend gelang ihr das, doch ihr ausgeprägtes Vibrato wirkte für die Deutung dieser Lieder zu aufgewühlt.

Expressive Kraft und Fragen zum Schluss

Viel besser lag Talia Or die Interpretation des Poems „Drei Palmen“, op. 120, das auf die expressiven Verse von Michael Lermontow komponiert worden ist. Düstere Klangfarben sowie zahlreiche parallel geführte Stimmen im Streichquartettsatz schufen eine stringente Umgebung für die Vergänglichkeit und den vermeintlich sinnlosen Tod dreier Palmen. In dichten musikalischen Bildern mit aufgewühlten Stimmführungen sang Talia Or mit viel Empathie.
Schon im Klavierquintett warfen einige Schlusspassagen in einzelnen Sätzen Fragen auf. Auch an das Ende der „Jüdischen Lieder“ hatte Weinberg einen irritierenden Schlussakkord im Klavier gesetzt und in den „Drei Palmen“ überraschte die Schlusspassage mit abgeklärten Flageoletts in der ersten Violine. Eine Beobachtung, die zu weiteren Gedanken über den hohen Aussagegehalt der Weinberg-Kompositionen, verleitet.