Matthieu Bordenave: The Blue Land
Es ist der unglaublich reizvolle Kontrast zwischen meditativer Ruhe und überbordender Expressivität, zwischen liebevoller Umarmung und gewagter Dissonanz, zwischen Bewegungen in geordneten Mustern und freier Entfaltung, der einen – mit jedem weiteren Anhören in noch stärkerem Maße - gefangen nimmt. Der schon seit langem in München lebende südfranzösische Saxophonist Matthieu Bordenave hat für dieses eindrucksvolle musikalische Wechselspiel im Pianisten Florian Weber und im Schweizer Kontrabassisten Patrice Moret – alle drei bewegen sich souverän im Spannungsfeld zwischen Jazz, Klassik und zeitgenössischer Kammermusik – die idealen Partner gefunden.
Auf ein dementsprechend begeistertes Echo stieß vor drei Jahren das ECM-Debüt „La Traversée“ dieses exzellenten Trios, das nun für "The Blue Land" mit dem von den Trios von Gwilym Simcock und von Kit Downes her bekannten britischen Schlagzeuger James Maddren zum Quartett erweitert wurde. Die acht von Bordenave komponierten Stücke eröffnen auch seinen Partnern unzählige Möglichkeiten, die Musik mit ihren kreativen Einwürfen spezifisch in ihrer Entwicklung voranzutreiben, dabei aber stets auch das Augenmerk auf einen unverwechselbaren Gruppen-Sound zu richten. Gleich der Opener "La Porte Entrouverte" – die halboffene Tür mag für diese Musik, die sich permanent in einer Art durchlässigen Schwebezustands zwischen reizvollen Gegenpolen bewegt – zeigt unmissverständlich, dass man hier keine ausgetretenen musikalischen Trampelpfade gehen wird. Im gut zweiminütigen Piano-Intro malt Weber mit verträumt suchenden, sich immer wieder dramatisch aufbäumenden Läufen an einem impressionistischen Klangbild und sorgt damit für einen ungemein stimmungsvollen Auftakt, der in einen ausdrucksstarken Trialog mit dem sehnsuchtsvoll schmachtenden Sopransax und dem dezent-wirkungsvollen Bass übergeht. Schließlich bringt sich auch Maddren mit höchst sensibler Besenarbeit ins musikalische Geschehen ein, und die vier Stimmen verschränken sich auf reizvolle Weise. Der darauf folgende Titeltrack entwirft eine mit schrägen, teils geräuschhaften Einwürfen gespickte Klanglandschaft, in der sich spontane Eingebungen zu kommunikativen Einheiten verdichten. Auch in John Coltranes „Compassion“, der einzigen Fremdkomposition, mischt sich immer wieder wild Spontanes mit Bekanntem und bringt so das Feuer zum Lodern. In „Cyrus“ trifft ein melancholisch mäanderndes Piano auf herzzerreißende Sopransax-Läufe, beide von dezenter Rhythmik untermalt. „Refraction" entwickelt sich von einem ausdrucksstarken Intro auf dem Tenorsax zur unterschiedlichste Stimmungen auslotenden, melancholischen Ballade, während das darauf folgende „Distance“ mit einem quirligen polyrhythmischen Drum-Solo startet, in das sich ein forsch voranpreschendes Piano samt Bass einbringt und mit einer Art abstrakten Swings den Boden für harsche Tenor-Sax-Läufe bereitet. Auch auf „Three Four“ verschmelzen Ruhe und Dringlichkeit aufs Eindrucksvollste, und Moret kann hier seine Ausdrucksstärke auf dem Tieftöner demonstrieren. „Timbre“ ist eine faszinierende Exkursion auf dem Sopran-Sax, wobei hier, wie mehrfach auf diesem Album, Erinnerungen an Wayne Shorter wach werden – aber auch Weber hat in diesem Stück seine ganz großen Momente. „Three Peaks“ schließlich ist aus den Erinnerungen an eine Wanderung in der ruhigen Bergwelt der Pyrenäen gespeist – ein wundervoller Abschluss für ein exzellentes Album.
(ECM/Universal)