Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Ingrid Bertel · 07. Okt 2014 · Literatur

Was will uns das sagen? - Die neue Ausgabe der Literaturzeitschrift „V“

Die neue Ausgabe der Literaturzeitschrift „V“ widmet sich dem Genre der Parabel und versammelt Überlieferungen, theologische Gleichnisse, Bild-Geschichten, eine Vertonung und Erzählungen von 26 AutorInnen.

Parabeln stehen im Verdacht, Geschichten mit erhobenem Zeigefinger zu sein. Meistens bestätigt sich der Verdacht. Das macht das Genre unangenehm und hat vermutlich dazu geführt, dass kaum noch Parabeln erzählt werden. Willibald Feinig, Herausgeber der neuen „V“, hat trotzdem eine stattliche Reihe von Gleichnis-ErzählerInnen aufgetrieben, und die können sich durchaus auch ablehnend zur Parabel verhalten.
„die parabel verlangt meines erachtens eine aussage über ein allgemeines, das so groß ist, dass man davor zurückschreckt“, meint der Wiener Autor Constantin Göttfert. Ihn schaudere es vor dem Anspruch, etwas darüber zu sagen, wie man zu leben hat. „als schriftsteller will ich mich nicht sosehr bemühen, lösungen anzubieten, als grundsätzliche dilemmata darzustellen oder aufmerksamkeit auf etwas zu lenken, was nicht laut schreien kann.“ Den Beweis legt er mit einer Erzählung vor, in der eine Frau mit ihrem kleinen Sohn durch die Stadt unterwegs ist. „Sie hatte ihn heute Morgen wie ein Vieh durch die leeren Straßen in Richtung Bahnhof getrieben. Er würde sie heute verachten, dachte sie, und morgen noch, aber übermorgen, so hoffte sie, würde er ihr vergeben haben und eines fernen Tages begreifen, wie wichtig es war, diesen Zug zu erreichen.“ Die geneigte Leserin mag sich nun in die Mutter hineindenken oder in den Sohn, mag an eigene Erlebnisse denken, aber eine Handlungsanweisung wird daraus nicht.

Das sprach der alte Indianer


Göttferts Ablehnung der Parabel findet sich ziemlich am Anfang dieses Themenbands. Davor, danach und daneben liest man Gleichnisse sonder Zahl, aus dem Neuen Testament und dem Born Judas, aus dem Talmud und der arabischen Tradition, außerdem eine „Parabel aus der Weihnachtspost“. Die geht so:
„Der alte Indianer erzählt seinem Enkel, in seinem Herzen würden zwei Wölfe wohnen. Der eine ist der Wolf der Dunkelheit, der Angst, der Verzweiflung und des Misstrauens, der andere der Wolf des Lichts, der Hoffnung, der Lebensfreude und der Liebe. Beide Wölfe würden oft miteinander kämpfen. Neugierig fragt der Enkel, welcher von den beiden denn jeweils gewinne. Der Großvater antwortet: Der, den ich füttere.“

Ich könnte mir vorstellen, dass PsychotherapeutInnen und SozialarbeiterInnen mit der Zunge schnalzen ob der Brauchbarkeit dieser Parabel, bietet sie doch eine Handlungsanleitung für so manche seelische Erkrankung. Aber Handlungsanleitung und Leben sind bekanntermaßen nur schwer miteinander in Einklang zu bringen, und so verschafft die heilsame Parabel wohl nur dem Erleichterung, der die Wölfe des Lichts auf seiner Seite weiß. Die berühmteste Parabel von allen, das biblische Gleichnis vom verlorenen Sohn ist allerdings sehr viel komplexer, und die Theologin und Psychotherapeutin Karoline Artner widmet ihm einen hochspannenden Text.
Der Vater in dieser Geschichte verhält sich nämlich ganz und gar unkonformistisch. Er verlangt keine Reue, keine Selbstbezichtigung von einem Sohn, der alles verschleudert hat, was er ihm mitgab, „das Geld, wohl auch die Werte, die Traditionen und den Glauben“. Er macht ihm keine Vorwürfe, pocht nicht auf seine Autorität. Er umarmt den Sohn und richtet eine Party aus. Ungerecht sei das, findet der brave ältere Sohn. „Dem Vater bleibt nur noch das Bitten. Er hat keine andere Erklärung als die der Liebe.“ Das ist in seinem gedanklichen und emotionalen Reichtum ebenso superb (und ebenso vertrackt) wie die zweitberühmteste Parabel der Weltliteratur, Platons „Höhlengleichnis“.

Kein einziges Beispiel


Damit ist aber auch eine Messlatte bestimmt. Willibald Feinig riskiert es. Seine Geschichten sind überaus zurückhaltend, und von seinem gleichnishaften Doktor heißt es gar: „Mir fiel auf, wie leise er redete. Seine Worte waren eindringlich, aber allgemein. Nicht ein einziges Beispiel floss in den Vortrag des Doktors ein. Wie hinter einer Maske verbarg er seine Erfahrung.“ Das könnte eine erste Stimme für die Parabel bedeuten: Sie ist kondensierte Erfahrung.

Christian Futscher nimmt die Herausforderung sportlich an. Sein Dichter erfüllt Aufträge aller Art, vermutlich schreibt er gegen entsprechende Bezahlung auch Parabeln, jedenfalls aber nie das, was er eigentlich schreiben möchte. Da hört er auf dem Sterbebett die umstehenden Trauergäste ein eindeutiges Urteil fällen: „einer von ihnen sagte leise: trottel.“ Ähnlich gewitzt reagiert Margit Heumann auf den Wunsch nach einer Parabel: sie wendet die Geschichten um die zänkische Xanthippe einmal um, und siehe da, Sokrates‘ Frau ist dermaßen sanft und liebenswürdig, dass sie sogar die Bissgurn mimt. „ihr lebtag lang ist sie die hebamme der menschenkenntnis ihres sokrates. So sehr liebt sie ihn, niemals hätte sie ihn enttäuscht.“
Max Keller vertieft sich im „Hongkong Hotel“ in die Feinheiten japanischer Kultur, Norbert Loacker siedelt eine überaus reizende Geschichte in einer griechischen Bucht an, und Wolfgang Mörth schießt überhaupt den Vogel ab: Sein vor Witz funkelnder Dialog trägt den unüberbietbaren Parabeltitel „Was will uns das sagen“.

 

literatur vorarlberg präsentiert am 12. Oktober, um 10.15 Uhr die Anthologie V # 31 (wie wenn) im Bildungshaus Batschuns