Die Literaturhauptstadt war und ist Feldkirch - „Das literarische Feldkirch" von Philipp Schöbi
Einer der acht Bände zur Geschichte der Stadt Feldkirch, mit denen sie ihre Gründung vor 800 Jahren publizistisch feiert, trägt den Titel „Das literarische Feldkirch". Und wenn es eine Stadt in Vorarlberg gibt, die sich das Attribut „literarisch" und damit einen Band dieses Titels auch unabhängig von diesem Anlass schon lange redlich verdient hat, dann ist es die Stadt an der Ill.
Und das liegt nicht nur an der von Philipp Schöbi schön zusammengefassten und bebilderten Vergangenheit, sondern auch an der gegenwärtigen Arbeit von Veranstaltern wie zum Beispiel des Theaters am Saumarkt, auf dessen Literaturprogramm Schöbi in seinem Vorwort auch zurecht hinweist. Zu diesem Programm zählen vor allem die „Feldkircher Literaturtage" und der alljährlich vergebene „Feldkircher Lyrikpreis", der sich mittlerweile zu einem der renommiertesten Bewerbe in diesem Bereich im gesamten deutschsprachigen Raum entwickelt hat. Hinzufügen könnte man, dass in der Villa Claudia, also unweit des Feldkircher „Literaturbahnhofs", der Verein „Literatur Vorarlberg" und das vor drei Jahren gegründete literatur:vorarlberg netzwerk ihren Sitz haben. Beides Institutionen, die versuchen, die zeitgenössische literarische Szene Vorarlbergs von Feldkirch aus zu fördern und über die Grenzen hinaus sichtbar zu machen.
Gemeint ist damit natürlich die aktuelle Literaturszene, aus der allerdings niemand in Philipp Schöbis Publikation zu finden ist. Aus gutem Grund, denn eine durchaus sinnvolle Bedingung für eine Aufnahme in sein Literaturlexikon war, dass die Erwähnten zum „Club der toten Dichter" gehören mussten. Wobei gleich klargestellt werden soll, dass in diesem an literarischen Stars reichen Band, der eigentliche Star Feldkirch ist. Das besprochene literarische Material wird immer so arrangiert, dass die Stadt als Ausgangsort für die Produktion von Texten, Gedanken und biografischen Ereignissen ins Zentrum gerückt wird. Die Fragen, die Schöbi zu beantworten versucht, lauten: Welchen Eindruck hinterlässt ein kurzer Aufenthalt auf dem Feldkircher „Schicksalsbahnhof" auf Menschen wie Stefan Zweig oder Kaiser Karl I. im März 1919? Welche Rolle spielt Feldkirch als letzte Station auf der Flucht vor den Nazis in den Werken Carl Zuckmayers oder des Schweizer Schriftstellers und Grafikers Cioma Schönhaus? Oder was für Spuren hinterlässt ein mehrwöchiger Aufenthalt von James Joyce 1932 im Hotel Löwen in seinem Spätwerk „Finnegans Wake"? Die abschließende Erklärung, die Karl I. bei seiner erzwungenen Ausreise im Zug verfasst, trägt immerhin den deutlichen Titel „Feldkircher Manifest". In jenem Kapitel des „Finnegans Wake", an dem Joyce nachweislich in Feldkirch gearbeitet hat, kommt der Name der Stadt ebenfalls vor, allerdings braucht man ein wenig Fantasie, um von „churchyard" also von Kirchgarten über Kirchfeld auf Feldkirch zu schließen. Schöbi arbeitet neben den bekannten Bezügen auch diese Details fein heraus und gibt damit dem Leser einiges zu entdecken.
Akribische Arbeit
Eine Entdeckung ist übrigens Anna Hensler, die erste Vorarlberger Frau, von der eine Erzählung veröffentlicht wurde. Und zwar im Jahr 1904. Ein Jahr später kam ihr Roman mit dem Titel „Frankreichs Lilien" heraus und wurde zu einem veritablen Bestseller nicht nur im deutschsprachigen Raum.
Im Zusammenhang mit James Joyce spielt natürlich auch Max Riccabona seine hinterlistige Rolle im literarischen Feldkirch. An der Geschichte über seine persönliche Begegnung mit dem berühmten irischen Schriftsteller als 17-jähriger Schüler, die er so ziemlich jedem – 1991 auch dem Rezensenten – erzählt hat, kommt auch Philipp Schöbi nicht vorbei. Die einen sagen Wahrheit, die anderen rufen Lüge!, wieder andere meinen, das sei doch völlig egal. Philipp Schöbi schreibt, auszuschließen sei es nicht. Und Max Riccabona, der vielleicht originellste tote Dichter Vorarlbergs, hat sich Zeit seines Leben gefreut über die Verwirrung, die er gestiftet hat.
Ist die Stadt Feldkirch, wie oben behauptet, der eigentliche Star des Buches, so ist das Jesuiten-Gymnasium "Stella Matutina", das auch Riccabona besucht hat, einer der Gründe für ihren Ruhm. Vermittelt über ein paar seiner prominenten Schüler erfahren wir einiges über die Atmosphäre, die dort geherrscht hat. Und naturgemäß sind die Erfahrungen widersprüchlich. Denn wenn Arthur Conan Doyle, der Schöpfer von Sherlock Homes und Dr. Watson, offenbar die Zucht und Ordnung unter der Leitung der Jesuiten genoss und keine Probleme zu haben schien, seine Fähigkeiten zu entfalten, war der Aufenthalt für andere, wie zum Beispiel den in Wien geborenen späteren Zoologen und Schriftsteller Franz Zedtwitz eine derart große Qual, dass er im Roman „Feldmünster" (1940) mit seinen Feldkircher Lehrern bitter abrechnete. Die Informationen, die Thomas Mann über die „Stella" gesammelt hat, bestätigen diesen Eindruck wiederum nicht. Den Juden Leo Naphta, einen seiner Helden im Zauberberg, versorgt Mann mit derart großer Begeisterung für die Vorzüge der jesuitischen Pädagogik, dass er sogar zum katholischen Glauben konvertiert.
Das Wissen um die Geschichte der berühmten Latein-Schule, die den Ruf Feldkirchs zur Zeit der Humanisten prägte, wird von Philipp Schöbi vorausgesetzt. Ein paar einleitende Sätze darüber wären vielleicht sinnvoll gewesen. So scheinen humanistische Gelehrte wie Georg Joachim Rheticus, Schüler des Kopernikus, im 16. Jahrhundert quasi wie vom Himmel gefallen zu sein. Aber das kann den Gesamteindruck von Schöbis akribischer Arbeit nicht trüben. Der Überblick liest sich spannend, und trotz der Kürze der einzelnen Beiträge gewinnt man den Eindruck, auch in die Tiefe und ins Detail geführt zu werden. Feldkirch hat sich ein so gutes Buch über sein historisches literarisches Leben verdient.
Philipp Schöbi, Das literarische Feldkirch. Die Montfortstadt als Schauplatz der Literatur, Hardcover, Bucher Verlag, Hohenems, ISBN 978-3-99018-450-9, 120 Seiten, € 14,-